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Der Meister Sonja 3. IG 2019

Schriftliche Arbeit zum 3. Inneren Grad an der Dao Schule Tirol.

Plank Sonja, März 2019, Si-Fu Günther Plank

Der Meister

Vorwort
Ich bin Sonja Plank. Ich habe mich vor vier Jahren für den Weg des Ausbilders an der Dao Schule entschieden. Habe mich vor mir, meinem Meister und Zeugen verpflichtet, das Feuer der Kampfkunst zu nähren, zu mehren und weiter zu tragen.

Spätestens seit diesem Zeitpunkt frage ich mich wie ein Lehrer/Ausbilder/Meister zu sein hat, versuche durch „try ´n´ error“ meinen Weg als solcher zu finden und vertretbar zu gestalten.

Ich kann diese Frage nun an dieser Stelle erörtern und mich dabei auf gelesenes und selbst erlebtes berufen. Und für andere eventuell verständlicher machen worum es mir geht.

Ich habe mich dazu entschieden „den Meister“ als geschlechtsneutralen Titel zu gebrauchen, weiteres sind unter allem als männlich Angeführten auch alle weiblichen, sowie unter dem weiblich Angeführten auch die männlichen, gemeint.

Viel Freude beim Lesen, erfahren und erkennen.

Der äußere Meister

Als Meister wird ein Mensch bezeichnet der durch viel Arbeit und Übung zu Erfahrung und Geschick in seinem Fach kam, allerdings ist dieser Begriff bei uns für handwerkliche Berufe vorbehalten.
So beginnt wer ein Handwerk erlernen will eine Lehre.
Nach der Lehrzeit wird er zum Gesellen und danach zum Meister.
Ich vergleiche dies nun mit der Aufteilung der Programme von den Grundlegenden- (Basis-, Mittel- und Oberstufe), die in gewisser Weise die Lehrzeit darstellen, zu den Inneren Programmen, die das gelernte verfeinert und erweitern sollen, sodass nach der Gesellenzeit einer sich Meister nennen, oder als solcher bezeichnet werden kann.
Ab der Meisterstufe beginnt die eigentliche Arbeit. Der Mensch hat seine Fähigkeiten aufs feinste geschult und ist befähigt schwierige Aufgaben sauber und gewissenhaft zu lösen.

Jeder von uns begegnet im Laufe seines Lebens solchen Menschen.
Sie alle betreiben Kung Fu, harte Arbeit. Ob dies nun ein Bäcker ist der Brot bäckt, ein Maler der ein Bild malt oder ein Meister der Kampfkunst bei seinem Werke ist.

Doch was ist nun das Werk eines Kampfkunstmeisters?
Ist es das Weitergeben seines Wissens? …zum Teil sicher…
Ist es die Kampfkunst? …als Lebenskunst, gewiss, denn für den Kampf mit einem körperlichen Feind wird er sie nur mehr selten brauchen. Da sein Auftreten und seine Geisteshaltung eine Auswahl zum Gegner unwahrscheinlich macht.

Ich habe in meinem Leben bemerkenswerte Menschen kennen gelernt, solche die sich durch ihre Herzlichkeit auszeichnen, andere durch ihre Lebhaftigkeit, manche durch Disziplin, wieder andere durch Konsequenz, wenige durch ihren Sanftmut, andere durch ihr Bewusstsein oder ihre Ruhe…
Sie alle hatten Einfluss auf mich und waren Meister, hatten kleinere oder größere Teile ihres Selbst feinstofflich gemacht und an sich selbst gearbeitet.

Als äußere Meister bezeichne ich im Folgenden Menschen, die außerhalb von mir existieren und in mein Leben getreten sind (körperlich und/oder geistig) und durch ausreichend lange Beschäftigung mit einem Thema zu einer gewissen Einfachheit, Tiefe und/oder Einsicht gelangt sind.
Traditionell nimmt der Meister den Schüler in seine Schule/Werkstätte auf, nimmt ihn als Mensch hin und bleibt selbst die Person die er bisher war, unabhänig vom Schüler (sprich als eigenständige Person, die nicht gefallen muss). Der Schüler oder Lehrling wiederum darf sich nun beweisen und bei einfacheren Tätigkeiten einbringen.
Der Meister lebt nun vor, was seiner Meinung nach richtig und gut ist und fordert Respekt und Disziplin, Gehorsam und Loyalität. Sodass der Schüler seinem Weg treu bleibt und ihm vertraut, damit die nötigen Formungsprozesse beginnen können. Doch ist der Meister menschlich, wertfrei geschrieben.
Er ist eine Person die durch ihre Eigenarten und Voraussetzungen, körperlich wie geistig, historisch wie zukünftig ihren Weg geht. Darum glaube ich ist es schwierig einen passenden Meister zu finden, der vom Wesen und seinen Eigenarten zum Schüler passt, oder umgekehrt. Sodass eine Herz-zu-Herz-Verbindung entstehen kann. Damit der Schüler über einen längeren Zeitraum hin weg gewillt und motiviert ist, dem Weg des Meisters uneingeschränkt zu folgen.

Der äußere Meister gibt uns Aufgaben, die er für angemessen, wichtig und notwendig für unsere Ent-wicklung hält. Diese sind nicht immer angenehm… stimmt so nicht ganz ;), diese sind nie angenehm und einfach, denn der Lehrer ist an ausgeglichenem Wachstum interessiert und dadurch arbeitet er immer mit Schwächen, Mängeln und Defiziten. So kann der Schüler Richtung Ganzheitlichkeit wachsen. Wird aber auch im Willen und Charakter geschult und geprüft.
Als Schüler mag es sein, dass wir zweifeln, ob es das Richtige ist, was wir beigebracht bekommen, mögen wir uns fragen wozu dies oder jenes nun gut ist, sind wir kritisch wenn wir etwas verstehen und/oder fragen wollen, doch müssen wir auch vertrauen, dass der Meister für uns einen Weg wählt, der nicht nur gangbar sondern auch praktisch anwendbar und zielorientiert ist, und er uns durch jahrzehntelanges Training soweit vorausgegangen ist, sodass er weiß worauf es im jetzigen Moment in unserer Entwicklung an kommt.

Äußere Meister sind Quellen der Inspiration, Dinge zu tun, die bisher unbekannt waren, Ideen zu sehen die bisher verborgen lagen und den Anklang von etwas Größerem zu sehen das Teil eines jeden ist.
Doch haben sie mit unter auch Eigenheiten, die nicht ganz in die Erwartung passen, die auch ein Schüler in der heutigen Zeit mitbringt. Er will gelobt und anerkannt werden, nur mit dem Besten versorgt, von allem Unglück verschont, den einzig wahren Übungen beglückt und mit Fähigkeiten geradezu beschenkt werden. Dies mag zu Konflikten führen die gelöst werden wollen, so ist die, wie ich denke wichtigste, Eigenschaft, eines Meisters und auch eines Lehrers ist seine Authentizität. Nicht zuletzt dadurch, dass der Meister einst selbst diesen Weg des Schülers beschritten hatte und empatisch auf einen Schüler eingehen kann (natürlich nicht muss, je nach Situation). Dies alles neben der Überzeugung dessen, dass es richtig ist wie er handelt und es so beim Schüler zur überzeugung kommen kann. In diesem Sinne können auch arbeitsökonmische Schüler überzeugt werden, dass sich ihre Ergebnisse an der investierten Zeit messen und der Meister recht hat in seinen Angaben, oder sie lassen es bleiben aber auch dafür ist beim Meister Platz, es muss nicht jeder Schüler zu einem Wegschüler werden.

Scheut ein Meister es nicht einem Schüler klar vor Auge zu halten an was es ihm mangelt, was seine Fehler sind und auf welchem Holzweg er sich befindet, kann dies unweigerlich zu einer Kränkung der kindlichen Seite des Schülers führen. Doch bringt es ihn – wenn er bereit ist dies anzunehmen – unweigerlich auch auf einen Pfad der Selbstwirksamkeit, des Selbstvertrauens und des Bewusstseins für die Eigenverantwortung. Er wird aufhören andere für sein Glück oder Pech verantwortlich zu machen, seine eigene Position überdenken und selbst einen ungetrübteren Blick für Vorgänge in ihm erlernen und ehrlich zu sich selbst zu werden.

Kampfkunst als Lebenskunst

Also könnten wir fragen wieso überhaupt einen Meister aufsuchen und von und mit ihm lernen?
Nun, ein Meister ist eine gewisse Zeitabkürzung (Ja mit genügend Zeit mich einzulesen könnte ich herausfinden wie meine Heizung funktioniert und ich sie zur Not sogar reparieren kann), er bringt mich schneller und effizienter zu den Themen die für mich zur Entwicklung zum ganzheitlichen Menschen wichtig sind und kann aus der Erfahrung schöpfen für mich die passenden Übungen zu finden.

Ich möchte wieder an Hand der Kampfkunst erläutern.
Wir lernen im Training grundlegend unser Selbst zu schützen, Gesundheit zu fördern und mit Kräften zu arbeiten.
Kurz gefasst lernen wir anhand dieser Schwerpunkte:

„Im Selbstschutz geht es in erster Linie darum, mein Selbst zu schützen und selbst zum Macher zu werden. Das Selbstvertrauen, dass ich auch in einem Fall der körperlichen Auseinandersetzung die Oberhand behalte und mich verteidigen kann, hilft Ängste abzubauen und agil in einer Notsituation zu bleiben. Wobei durch Schulung des Richtigen Auftretens die Wahrscheinlichkeit letzter genannter auf ein Minimum reduziert wird.
Die Kampfkunst, aber noch mehr das Qigong, hält uns dazu an uns mit unserem Körper, seiner Geometrie, seiner Energie auseinander zu setzen. Wir erlernen eine völlig neue Zusammenarbeit mit uns selbst und sich daraus ergebend auch mit unseren Trainingspartnern.
Die Waffenarbeit stellt eine Erweiterung der waffenlosen Kunst dar. Obwohl jede Waffe verschieden ist, lebt jede doch von ihren Stärken. Sie lehren uns noch mehr als andere Bereiche der Kampfkunst hinter etwas zu stehen, Respekt, Demut und Ehrfurcht vor der Macht, dem Leben und dem Tod.“

Wie ist also Kampfkunst als Lebenskunst zu verstehen?
Anfangs (zugegeben als eine Möglichkeit ;)) arbeiten wir im Training für den Selbstschutz (mögliche andere Ziele: Kampfkunst, Einklang,…), doch je weiter wir den Weg gehen und je intensiver wir uns damit beschäftigen, umso mehr bestärken Ereignisse um uns, dass wir für unser ganzes Leben gelernt haben/lernen. Durch unser selbstsicheres Auftreten und unsere Arbeit mit Energien wird die Anzahl derer die uns als Opfer oder Gegner sehen immer geringer, die Notwendigkeit für eine körperliche Selbstverteidigung auch, wenn auch durch unser sozial flexibles Handeln (Ausstiegsmethoden aus der Gewaltspirale) die Dringlichkeit der Selbstbehauptung weniger wird, bleibt nur mehr der Selbstschutz, welcher im Kopf beginnt und bei der Frage: „Was ist das Selbst?“. Zum Teil ist die Lebenskunst sicher damit beschäftigt, alle nicht zum Selbst gehörenden Angewohnheiten und Prägungen aufzuzeigen und abzulegen.

Der Meister tritt dabei an eine entscheidende Schlüsselposition.
Früher wurden innere Schüler in das Haus des Meisters geholt und wohnten mit ihm unter einem Dach. Sie wurden so Teil der Familie und lernten nicht nur die Kampfkunst, sondern auch die Alltagsphilosophie, Gebräuche und Gepflogenheiten. Dies führt zu einer Veränderten Wahrnehmung des Schülers. Einem neuen Blickwinkel auf sich selbst und seinen Standpunkt in der Gemeinschaf, sowie seinen Ideen und Überzeugungen. Er erweitert sein selbst, legt ab was nicht seinem Selbst entspricht, so erkennt er durch die Nähe zum Meister (ob nun als ermahnender Vater oder in der Rolle des Vorbildes in der sich der Schüler selbst erkennt) früher wo er aufhört er selbst zu sein und zB. anerzogene oder erlernte Muster des Verhaltens aufruft, die ihm eigentlich nicht entsprechen.
Mein Meister ist mir in dieser Hinsicht Lehrer für verschiedene Inhalte.
Er geht seinen Weg und es liegt an mir ob ich folgen möchte, daraus ergibt sich eine intrinsische Motivation. Solange ich lernen will, bestimmt er den Weg. In unserem Training wird im Laufe der Zeit jedoch das Mitspracherecht eines jeden Schülers mehr und Entscheidungen, Ideen, Veränderungen werden im inneren Kreis besprochen, diskutiert und adaptiert, wobei Si-Fu (der Meister, väterlicher Lehrer) die letzte Entscheidungsinstanz darstellt.

Ein paar Auszüge aus fast zehn Jahren Erlebnissen und Lehren von Sifu Günther:
Er ist ein Macher. Sobald etwas zu tun ist wird es getan. Er legt großen Wert darauf die Dinge zu ihrer Zeit zu tun. Nicht zu früh und nicht zu spät, rechtzeitig eben. Sei dies nun in der Kampfkunst, wo er den Schüler in der Übung dort abholt wo er ist, im Waffenkampf, wo er mit den Zeiten des Vor, Indess, Nach im passenden Timing auf einen Angriff entsprechend antworten kann, oder im Haushalt wenn Sanierungsarbeiten, Steuerausgleich oder ein Einkauf anstehen.
Er steht hinter Aussagen, Zusagen und Prinzipien. Wenn er etwas sagt meint er es auch so. Er hält uns dazu an auf unsere Wortwahl zu achten, um das zu sagen was wir sagen wollen. Dies ist zugegebenermaßen nicht die einfachste Anforderung, denn wir verwenden und verstehen eben das worauf wir konditioniert sind und hier einen Schritt zurück zu gehen und uns selbst dabei zu beobachten was Worte in uns auslösen und wie wir sie selbst verwenden ist eine sehr große Herausforderung.
Zuhören. Er ist wohl einer der wenigen die immer ein offenes Ohr für Mitmenschen haben, wenn sie es brauchen. Er nimmt sich (zumindest wenn die Mühe nicht vergeblich scheint) die Zeit darüber nachzudenken und Vorschläge und Richtungen zu weisen, die vorher nicht im Raum gestanden sind.
Bei sich selbst bleiben. Er schafft es trotz widriger Umstände bei sich selbst zu bleiben, sich nicht in die Emotion des anderen hinein reißen zu lassen und sogar noch auf humoristische Art damit umzugehen. Er nimmt auch im Training die Energien auf verschiedene Arten und lernt uns verschiedene Herangehensweise an Problemstellungen, die sich alle im Übertragenen Sinn auf Alltagssituationen umlegen lassen. Kann aber auch rigoros durchgreifen und sich durchsetzen, wenn er es für angemessen hält.
Er lebt alles ist Eins. Wir alle befinden uns auf dem Weg (des Lebens). Wenn wir einmal dieses Bewusstsein erlangt haben wird alles einfach. Wenn aus einem Fauststoß viele verschiedene Arten einen Fauststoß zu machen werden und danach alle wieder nur ein Fauststoß sind, ist die Erklärung der Welt nicht mehr viel weiter weg…

Ein anderer Meister der mir von Anfang an, mit seinem Weg gezeigt hat, was möglich ist, hat mir die Augen geöffnet für bewusste Ansteuerung der Körpers. Ist Sifu Franz.
Er bewegt sich mit einer Anmut, Erhabenheit und Schnelligkeit, die mich von ersten Moment an fesselten und dazu führten, dass ich mir dieses Bewegungsbewusstsein selbst erarbeiten möchte.
Er verfügt über ein Einfühlungsvermögen und Sanftmut bei doch klarer Struktur, diese spiegelt sich in all seinen Übungen und Aufgaben wieder. Er kann zwischen Einfühlsam und Bestimmt reibungslos switchen sodass es der Grundphilosophie des Selbstschutzes entspricht.
Die Take-away-message: „Wenn etwas passiert was ich nicht mag, kann ich klare und eindeutige Worte, Gestik und Mimik wählen um dies aus zu drücken.“
Die Demut, die er vermittelt. Er lässt uns immer wieder daran Teil haben demütig und mit Respekt anderen, sich selbst und der Welt entgegen zu treten. Er lebt es in der Kampfkunst und der Musik vor.

Wie geschrieben ist es möglich mehr als einen Meister zu haben.
Meist wird sich jedoch, so sich eine passende Konstellation aus Meister und Schüler gefunden hat, der Großteil des zu Lernenden auf einen Meister beschränken, allein schon aus der Problematik der Dreidimensionalität unserer Welt, wird sich der Schüler nicht Teilen können um gleichzeitig von zwei Meistern zu lernen. Nicht in der Tiefe die ich mir vorstelle. Allerdings, je weiter ich meinen Weg gehe umso leichter fällt es mir Menschen zu erkennen und ihre Besonderheit wahr zu nehmen. Und somit schneller ihren meisterlichen Anteil zu sehen und von ihm zu lernen.

In jedem Menschen steckt die Anlage zum Vorbild, zur Inspiration und zum Meister zu werden. Die wenigsten jedoch nutzen diese Anlage und noch weniger in wirklich umfassenderer Weise.
Natürlich ist wie bereits erwähnt jeder dieser Meister ein Mensch, hat seine individuellen Grenzen und Eigenheiten. Somit ist keine der vorher genannten Eigenschaften zu verallgemeinern und ist immer zu 100% in jeder Situation zu gegen, trifft aber dennoch in sich geschlossen zu und bildet das Fundament des inneren Meisters.

Innerer Meister
Drunter verstehe ich das Bild von mir in meinem Inneren, dass ich mir zum Zwecke der Motivation und Inspiration von mir selbst schaffe. So wie ich Leben und sein möchte. Eine Idee auf die ich mich in schlechten Zeiten selbst berufen und in guten Zeiten immer etwas mehr nach ihr Leben kann.
Als Ideen und Vorlage dienen meine äußeren Meister. Jeder dieser Menschen hat einen Abdruck in mir hinterlassen, ein Echo das durch mich und in mir Resonanz findet. Eigenarten, Ideen, Verhaltensweisen, kurz gesagt Teile seiner Persönlichkeit die mich ansprechen und die ich für mich auch Leben möchte.
Für einen jeden selbst sind die Fragen
„Wie will ich sein/werden?“
„Wer will ich sein/werden?“
zu stellen. Und zu beantworten ;)…

Menschen die wir kennen, vielleicht auch so genannte Alltagshelden, dienen uns als Inspiration. Ermöglichen uns über uns selbst hinaus zu wachsen und uns zu veredeln.
Wir beobachten ihr Handeln und sind dadurch auf eine gewisse Art und Weise bewegt, die uns motiviert selbst so zu handeln, mehr so zu werden wie diese Person, Dinge (materiell wie immateriell) so zu sehen wie wir es vorher nicht bewusst taten.

So erschaffen wir ein Bild von uns selbst in uns, hinterfragen vielleicht den einen oder anderen Grundsatz/das eine oder andere Verhalten den/das wir als Kind gelernt haben und werden so nach und nach erwachsen. Übernehmen Verantwortung für unseren Körper, unser Denken und unser Handeln.
Wir können an unserem Verhalten arbeiten, Wert darauf legen es zu ändern, ist es eigentlich nur eine Entscheidung die wir treffen müssen. Los zu lassen von trägem, selbstbemitleidendem und selbstzerstörerischem Denken und Handeln. Je mehr wir an etwas festklammern, wie wir sein müssen oder etwas anderes sein soll, umso schmerzlicher und unerträglicher wird unser Sein mit uns selbst und umso unausstehlicher werden wir in Gemeinschaft mit anderen.

Ich möchte nun an dieser Stelle meinen Inneren Meister erörtern.

Er fordert mich auf, bittet mich, stellt sich als Möglichkeit zur Verfügung, immer etwas mehr zu werden wie ich gerne bin, mich wohl zu fühlen mit mir selbst, mich stark zu fühlen, mich in mein Leben ein zu fügen. Er ist ein größeres Bild meiner selbst und stellt den Platzhalter zwischen meinen geistigen Vorstellungen und vergangenen Erlebnissen mit meisterlichen Menschen (die Gesamtheit aller Meister würde ein Bild des ewigen Meisters darstellen und das gesamte Potential der Menschheit umfassen) und dem was ich bin dar. Es ist das bildliche Potential das er darstellt, welches ich wahrnehmen, aber vielleicht noch nicht zur Gänze umsetzen kann. Ich aber bin bestrebt mir diese Eigenheiten als Teil meines alltäglichen Auftretens ein zu verlaiben.
Er lebt Geduld und Harmonie. Ist Nachsichtig mit seinem Körper und dessen Beschränktheit in der Zeit, ist bestrebt immer im Ausgleich zu Leben.
Kann die Einheit aller Dinge zu jedem Zeitpunkt fühlen und sich zwischen ihnen und im Fluss des Dao bewegen.
Er ist diszipliniert. Aufgaben, die gestellt sind, löst er mit energieeffizientem Einsatz, der nötigen Konzentration und Ernsthaftigkeit. So auch, wenn es um das Erlernen neuer Inhalte geht, die nicht zwingend nur der Kampfkunst entstammen.
Er nimmt das Leben leicht. Positives wie negatives bewegen ihn nur oberflächlich, er steht mit und bei sich und um ihn herum geschieht was geschieht.
Er kann Schüler konstruktiv auf Defizite hinweisen, sodass ein gemeinsames Ganzes entstehen kann. Der Schüler wird auf seine Mankos aufmerksam gemacht, doch auf eine Art die nicht sein Wesen verletzt, stattdessen kann er offen mit dem Feedback arbeiten und erspart sich sehr viel Mühe und Zeit.
Er lebt als Beispiel vor.
Hält sich ordentlich, gepflegt, anmutig und schön. Doch ist Kung Fu eben harte Arbeit und diese scheut er nicht.
Er ist erhaben und anmutig, achtet auf jede Bewegung in jeder Zeit seines Lebens. Jeder Tritt und Schritt, jede Bewegung der Hände, jedes Lächeln und jedes Wort soll den Grundlagen der Demut, des Respekts, der Erhabenheit und der Gleichheit unterstellt sein.

Dies zu meinem Inneren Meister. Diese Auflistung stellt keinen Vollkommenheitsanspruch, noch kann sie sich nicht verändern, wachsen oder vereinfachen. Es handelt sich lediglich um die Punkte die mir als wichtig erschienen sie aus meinem Kopf auf Papier zu bringen.

Nachtrag zum ewigen Meister
Das Dao steht für den großen Weg, der ewige Meister für das Meisterliche in all seinen Facetten.
Kein Mensch kann jemals alle Facetten des Dao abdecken, jeder kann nur seinen Weg gehen. So ist der ewige Meister eine Vorstellung, die Summe aller meisterlichen Aspekte und aller Meister in unserer Welt, eine nie endende Liste die immer einem Wandel unterworfen ist…
Es ist unmöglich die Unendlichkeit greifbar zu machen und zu erfahren, doch wie der menschliche Geist fähig ist auch das Unendliche zu benennen und zu umschreiben, kann er in selber weise auch mit dem Dao und mit einem Meister tun.

Der ewige Meister ist ein immerwährendes Vorbild. Zu dem sich ein jeder von seinem Standpunkt aus bewegt, sodass sie gemeinsam erst alle Möglichkeiten die es gäbe abdeckten.
Demnach ist jeder innere Meister ein Splitter des Spiegels in dem sich das Bild des ewigen Meisters reflektiert.

Nachwort

Es war für mich sehr spannend und für die Reflexion sehr aufschlussreich diese Arbeit zu schreiben. Es ist fast schon schade, dass ich sie in doch sehr kurzer Zeit geschrieben habe, denn alleine das Beschäftigen mit dem Thema und meinem inneren Meister haben mir etlicher Versäumnisse aufgezeigt und dadurch habe ich nun Gelegenheit weiter an mir zu arbeiten.
Dank sei an dieser Stelle gesprochen.
An meinen Si-Fu. An Sifu Franz. Und ALL die großen Meister (damit seid ihr alle gemeint ;)) in deren Fußstapfen ich heute stehen darf, denn so viele sind diesen Weg gegangen, manche Spuren hat die Zeit bereits geschluckt, doch waren sie und sind somit Teil des Weges…

„…denn jede Blüte… – das bin ich…“

Sonja Plank

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Schere – Stein – Papier …. und der Bezug zu meinem Unterrichtskonzept 2018

Gerade heute, da Abtrennung und Spezialisierung ja wichtiger denn je scheinen, meine ich genau das Gegenteil müsste es sein, was eine stilfreie, ganzheitliche und lebendige Kampfkunst (in meinem Fall ARTMA) ausmacht. Es geht nicht darum mehr und mehr hineinzupacken, sondern mehr und mehr „wegzulassen“, um die Matrix dahinter zum Vorschein kommen zu lassen. Und mit weglassen meine ich nicht weniger Fähigkeiten zu schulen, sondern die Grundfähigkeiten zu entwickeln, aus denen der Rest und die Spezialisierung entstehen kann.
Wie Michelangelo in die Schuhe geschoben wird einst gesagt zu haben wie er denn David aus der Statue erschaffen habe: “Der David war immer schon da gewesen. Ich musste lediglich den überflüssigen Marmor um ihn herum entfernen.”

Was hat das nun mit „Schere – Stein – Papier“ zu tun? Mit diesem für jeden sicher in Erinnerung gebliebenen Spiel erschließt sich meiner Meinung nach sehr gut, welcher Kampfkunstzugang der „Beste“ ist.

Es gibt ihn einfach nicht!

Nur wer über alle 3 Auswahlmöglichkeiten verfügt und diese entsprechend passend einsetzen kann (was das Spiel natürlich unfair macht wenn ich vorher weiß was benötigt wird – aber um Fairness geht es in der Anwendung ja nicht), der hat zu jeder der 3 Vorgaben eine passende Antwort.

Mein „Schere – Stein – Papier“ Ansatz basiert auf den Zugängen von

• Keil/Kegel/Geometrie (aus dem Wing Chun System)
• Kreis/Ball/Energie (aus dem Taijiquan)
• Spirale/Bewegung/Mehrdimensionalität (aus dem Baguazhang)

Welcher dieser 3 Zugänge besser ist kann nicht vorher gesagt werden – jeder hat seine Vor- und Nachteile, aber in Kombination habe ich eine umfangreiche Toolbox zur Verfügung, die mich für mehr oder weniger alles wappnen sollte.

Eine zarte kleine Frau wird mit „sich anpassen“ und „rumwuseln“ wahrscheinlich besser fahren als einen stabilen Keil in einen 120 kg Typ reinschieben zu wollen. Nach vielen Jahren Kampfkunstausbildung kann aber dann auch die kleine zarte Frau einen 120 kg Typ einfach wegschieben wenn sie funktionell mehr Kraft aufwenden kann (ist immer wieder lustig zu sehen wie die großen Jungs von meiner Frau rumgeschubst werden). Aber diese Fähigkeit der – ich nenn sie mal – funktionellen Ganzkörperkraft wächst eben nicht von heute auf morgen. Aber mit einem passenden Übungswerkzeug sind in kürzester Zeit hier riesige Fortschritte zu erzielen.
Ebenso wird ein 120 kg Brocken selten das Bedürfnis verspüren sich elegant an den Angreifer anzupassen – Keil vor und fertig wird in den meisten Fällen recht gut funktionieren. Aber auch 120 kg mit funktioneller Ganzkörperkraft und Beweglichkeit richten mehr aus als reine Masse.
Meine Aufgabe als Lehrer sehe ich darin, meinen Schülern alle 3 Möglichkeiten anzubieten, damit sie später auch aus allen 3 Möglichkeiten wählen können / das „Passende“ passieren kann. Damit aber auch gleich von Beginn an Sachen funktionieren, werden bei uns von Anfang an alle 3 Zugänge unterrichtet (natürlich auf das Niveau der Schüler angepasst).

Weiters wird großer Wert darauf gelegt, Grundlagen der Waffenarbeit (welche unter anderem Geometriezusammenhänge ungemein deutlicher aufzeigen als waffenlose Kampfkunst) und des Gesundheits (Qigong) Bereiches zu transferieren (Transition). Die Fähigkeit eines aufrechten Standes aus dem Qigong beeinflussen natürlich die Körperhaltung in der Selbstverteidigung und in der Kampfkunst. Ebenso wie die Erkenntnis aus der Waffenarbeit, dass ich „hinter der Waffe“ stehen muss (also hinter dem, was ich vorhabe zu tun) sich im Alltag auswirken sollten. Überhaupt – wer Kampfkunst betreibt und sie im Dojo lässt, der hat nicht verstanden, worum es in der Kampfkunst geht. Wenn die körperliche Entwicklung keine geistige Entwicklung mit sich bringt, dann mag das zwar kämpferische Vorteile haben, eine ganzheitliche Kampfkunst wird dann aber nicht betrieben. Flexibilität im Tun und im Denken sollte einher gehen – und das eine das andere unterstützen.

….und ob ich nun Dantien, Hara oder Bewegungszentrum sage …. wenn meine Bewegung daraus geführt wird macht die Bezeichnung keinen Unterschied. Und wenn die Bewegung nicht daraus geführt wird, hilft es auch nicht x verschiedene Bezeichnungen dafür zu kennen….

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Beispielhafte Unterrichtsmethodik anhand von „Malen lernen“ bei Kindern – aus 2017

Ausgehend von der Grundidee meinen Schülern eine möglichst breite Palette an Lernmöglichkeiten zu geben, diversen Vorträgen von Gerald Hüther und nicht zuletzt der Begeisterung der eigenen Kinder aktuell am Ausmalen von (durchwegs schwierigen) Mandalas und Ausmalbildern haben sich folgende Gedankengänge bei mir ausgebildet:

Wenn Kinder zuerst „mit dem ganzen Körper“ malen, später zu den Strichmännchen und –zeichnungen übergehen um dann eine Phase von „Ausmalbildern“ zu durchlaufen bevor es ans „Abmalen“ und dann frei malen geht – ist sowas nicht auch auf das Lernen (von Kampfkunst) übertragbar?

Am Anfang stehen die „Ganzkörperübungen“ (Basisflow, Zhangzhuan, div. Formen und Bewegungsmuster), welche noch weit weg von irgendwelchen Anwendbarkeiten stehen – der Schüler lernt seinen Körper kennen, seine Körpergrenzen und gewisse Bewegungsmuster kennen – daraus kann weder abstrakte Kunst, noch irgendein Stilleben erkannt werden.

Über diese Stufe hinaus gibt es dann gewisse „Vorgaben“, wie eben zBsp. „Mal einen Baum“ – und mit viel Fantasie kann man einen Baum erkennen. Ein Strich hier, ein Strich da und dort… Dies ist für mich die Stufe der sogenannten „Selbstverteidigungs-Aktionen“. So wie sie ausgeführt werden weit weg von Kampfkunst, aber durchaus schon erkennbare Funktionalität, Freude daran, dass etwas „klappt“, also ein Schritt in die richtige Richtung.

Dann kommt aber interessanterweise die Zeit, in der die „eigenen“ Zeichnungen der Kinder weniger werden und Vorlagen ausgemalt werden. Eventuell deshalb, weil man mit den „Eigenkreationen“ nicht zufrieden ist (oder gesagt bekommt dass sie „nicht schön“ seien) – auf alle Fälle sollen dann Vorlagen her, welche farbig ausgefüllt werden. Auch hier wird natürlich anfänglich überall drüber hinausgemalen, aber mit der Zeit entwickelt sich ein besseres Gefühl für die Grenzen (wie auch in den Formen, bei Koordinationsübungen usw.).
Also Kreativität im Rahmen quasi – welche Flächen mit welchen Farben ausgemalen werden ist beliebig, gut ausschauen tut es meist so oder so.

• Dem Gegenüber gibt es die Möglichkeiten des „Malen nach Zahlen“ bzw. „Malen nach Farben“, welche ähnliche Wege gehen – entsprechend eines vorgegebenen Rahmens entweder die Zahlen von 1 bis x nachfahren und es gibt ein Bild, oder alles mit den gleichen Zahlen in den gleichen Farben ausmalen und es gibt ein Bild; Also auch hier: vorgegebene Rahmenbedingungen mit der Möglichkeit „bedingter Kreativität“.

So ungefähr sehen meine Beispiele im Kampfkunstunterricht aus: Ich zeige gewisse Bewegungsmuster vor (zum Beispiel: gerader Angriff kommt – Keilförmig vorschieben, mit der inneren Hand außen Kontakt aufnehmen, aus der Angriffslinie hinausgehen, den Angriff gerade weiterbegleiten und mit der anderen Seite den Gegner treffen) und die Schüler erarbeiten sich innerhalb dieser Rahmenvorgaben für sie passende Ansätze: wo nun der Trainingspartner getroffen wird hängt vom Größenverhältnis der Partner zueinandern, dem Kräfteverhältnis, aber auch von innerer Einstellung und Durchsetzungsvermögen ab. Natürlich könnte ich exakt vorgeben wie es auszuschauen hat – aber damit nehme ich dem Schüler die Möglichkeit „selbst zu spielen“ und gebe die Illusion von „diese Aktion passt“ vor – was aber eben nicht immer stimmt; Die Aktion von mir passiert eben genau deshalb so, weil die Konstellation der Trainingspartner nun genau so war – wäre sie auch nur etwas anders würde die Antwort auch entsprechend anders ausfallen; Was ich meinen Schülern damit also beibringen will, ist einerseits eine grundlegende Vorgangsweise welche gegen solche Angriffe möglich ist (andere Varianten folgen dann enstprechend in den nächsten Wochen wenn diese Variante halbwegs „sitzt“), andererseits aber gleichzeitig die Kreativität und Eigenverantwortung nicht nur mich zu kopieren, sondern auch selber probieren was für sie funktioniert (und was eben nicht) – und, dass es immer auf die Situation darauf ankommt.
Natürlich gibt es (nach anfänglichem „Alleinstudium mit den Partnern“) dann den ein oder anderen Hinweis was sich für mich in dieser Konstellation anbieten würde, und auch gleich die Überleitung zu ähnlichen Bewegungsmustern aus anderen Übungsbereichen (sei es Waffentraining oder Qigong Elementen) – um auch hier klar zu machen, dass alles einander verstärkt.

Mein Ziel ist es, dass meine Schüler das Rüstzeug bekommen um selbständige Maler zu werden – ob dies dann im Bereich von Aquarellen, Bleistiftzeichnungen, Ölfarben oder was auch immer passiert liegt nicht an mir zu entscheiden; sehr wohl aber liegt es an mir diese verschiedenen Möglichkeiten aufzuzeigen.
Oder um es auf die Grundidee des menschlichen Gehirnes nach Hüther zu übertragen: ich versuche möglichst viele Verknüpfungsmöglichkeiten anzubieten. Aus welchen dann Datenautobahnen werden und welche verkümmern liegt allein daran, welche benutzt werden. Wenn ich allerdings nur eine Möglichkeit anbiete wird diese wohl oder übel die Datenautobahn werden und „funktionieren“ – die Wahrscheinlichkeit, dass sie für alle unterschiedlichen Schüler aber „die Richtige“ ist kann sich jeder selber ausrechnen 😉

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Ergänzung zur Arbeit auf ARTMA 5 / Dao Schule Tirol Unterrichtsaufbau 2016

Ergänzungen über 3 Jahre danach (Mai 2016 sowie November 2016) zu Unterrichtsaufbau und Schwerpunkte der aufeinander aufbauenden Programme im ARTMA Curriculum 2013:
Vorweg:
Die geistige Entwicklung/Geistesschulung wird – wie bereits im ersten Teil bereits – auch hier nicht „wirklich“ Bestandteil der Arbeit sein, da dies dann ein eigenes Kapitel für sich darstellt und sich mir wahrscheinlich auch erst nach weiteren Jahrzehnten daran arbeiten ausreichend erschließen wird um dazu Stellung nehmen zu können.
Die obigen Ideen & Konzepte decken lediglich den „Wing Chun Teil“ des ARTMA Unterrichtes und die Waffen als „add on“ ab. Da es sich bei Wing Chun um einen in sich schlüssigen Stil handelt, bei ARTMA aber um ein stilfreies Unterrichtskonzept fehlen mir – nach meinem heutigen Erfahrungsstand – einige wichtige Aspekte wenn es um den Aufbau von ARTMA als ganzheitliche, stilfreie und lebendige Kampfkunst geht, welche ich nun im folgenden näher erläutern will:
Würde ARTMA für mich (wie von einigen meiner Salzburger Kollegen gerne so betitelt) „Wing Chun Kung Fu und mehr“ sein, dann hätte obige Aufzählung in sich ausgereicht und wäre schlüssig. Zuerst den Wing Chun Teil lernen, dann Taiji-Waffen, dann Baguazhang und im Anschluss noch Ball-Qigong.

Da für mich ARTMA aber ein stilfreies ganzheitliches Unterrichtskonzept darstellt, welches sich mit der Matrix der Kampfkünste beschäftigt und somit weit über die Wing Chun Aspekte hinausgeht sehe ich folgende Ergänzungen als notwendig an:
Dieser Standpunkt ist sehr subjektiv und über die Jahre gewachsen.
Vielleicht daher rührend, dass der „reine Wing Chun Teil“ zum überwiegenden Teil erlernt, und großteils gut verdaut und an meine eigenen Schüler weitergegeben wurde, vielleicht aber auch den Erfahrungen mit den „ARTMA-Schülern“ geschuldet, welchen von Beginn an eine stilfreie ganzheitliche Kampfkunst versprochen wird, aber auch durch Kung Fu Panda 3 beeinflusst (mehr dazu vielleicht später noch).
Ich sehe meine Aufgabe als Sifu der Dao Schule Tirol (zu welchem ich vor rund 5 Jahren – also 2011 – ernannt wurde) darin, durch meinen Unterricht bzw. meine Vorgaben der Programmschwerpunkte für meine Schüler in einem angemessenen Zeitrahmen viele Teilaspekte der Kampfkünste näherzubringen und ein gewisses Fundament zu legen, auf dem sie dann – ihren eigenen Stärken und Schwächen entsprechend – aufbauen können.
Genauso, wie wir in den Waffen dem Pareto Prinzip (mit 20 % Aufwand 80 % abdecken) folgend zuerst schwerpunktmäßig ein gewisses Grundverständnis im Umgang mit Hieb- und Stichwaffen schulen, so halte ich es auch für angebracht im „waffenlosen Teil“ (den es ja eigentlich nicht gibt, da ich die Waffe bin, und die „Körperverlängerung“ ja nur eine Unterstützung darstellt) von Anfang an Ideen von geradlinig/keilförmig/geometrisch (anhand von Wing Chun Kuen), rund/energetisch (Taiji Chuan) und spiralig (Bagua Zhang) gleichermaßen zu unterrichten. Aber auch Elemente aus dem klassischen Boxen sind so basal, dass sie für mich zwingend zumindest rudimentär beherrscht werden sollten.
Außerdem halte ich es für zwingend notwendig so früh als möglich die Transition von den Waffen ins „Waffenlose“ zu übertragen. Im ARTMA geht es für mich nicht darum WingTsun / Wing Chun zu unterrichten, und einige „add ons“ darauf zu stöpseln, sondern durch den Unterricht verschiedener Zugänge die Kampfkunst als ganzes runder und umfassender in ihrem Kern zu machen.

So wie es Yin nicht ohne Yang gibt, so gibt es das Geradlinige nicht ohne das Runde/Spiralige.

Zum Beispielt beihnaltet die Speerform (aber auch jede andere Waffenform) einen immensen Bewegungsreichtum, welcher das Waffenlose enorm bereichert – der aber leider irgendwie ohne entsprechende Unterweisung nicht beim Schüler ankommt (so zumindest meine Erfahrungen bisher).
Wenn die Speerform als Ergänzung und Erweiterung der bisherigen Kampfkunst gesehen wird, einzelne Elemente auch ohne Waffe aufgrund ihrer Ideen und Bewegungsmuster ins Waffenlose integriert werden können, dann gibt es einen unschätzbaren Mehr-Wert, welcher sich nicht darauf beschränkt „die Speerform tanzen zu können“ und ein paar Applikationen geübt zu haben, sondern die Speerform (zumindest ansatzweise) in die Kampfkunst integrieren zu können.
Selbiges gilt natürlich auch für Zhangzhuan, Baduanjin, Dao, Jian, Schwert, Stock usw.

Solange der Schüler jedoch „nur“ die einzelnen Waffengattungen mit ihren Formen und Programmen lernt, nicht jedoch die Zusammenhänge der Waffen untereinander und zum Waffenlosen erlernt – aber genauso die Übertragung der Fähigkeiten & Fertigkeiten, welche eine Zhangzhuan, Basisflow, Baduanjin und Chen 18 in die waffenlosen und Waffen-Aspekte zumindest aufgezeigt bekommt, so lange wird es im sehr schwer fallen den wahren Wert dieser „Zusatzübungen“ zu erkennen geschweige denn sie zu integrieren. Er wird immer nur in dem „Modus“ arbeiten, der gerade Programm ist.
Ein weiterer Aspekt, welcher bei der Entwicklung der Schüler meiner Meinung nach berücksichtigt werden sollte ist der, dass gewisse Fähigkeiten & Fertigkeiten eine lange „Keimphase“ benötigen.

So wie ich von einem Baum, welchen ich aus dem Kern ziehe, nicht erwarten kann mich in den nächsten paar Jahren in seinen Schatten legen zu können – geschweige denn seine Früchte ernten zu können, so führt auch in der Kampfkunst das Säen von Ideen und Konzepten erst nach unterschiedlich langer Vorlaufzeit dazu, die Früchte davon ernten zu können.
Beim reinen „Wing Chun-Unterricht“ gehe ich relativ „schmal“ in die Tiefe – und entwickle mich so weiter. Diese Vorgangsweise hat zweifelsohne gewisse Vorteile, bringt jedoch unter anderem mit sich, dass man sich von jahrelang eingeübten Mustern nur mehr schwerlich & ungern lösen möchte und führt zu einer gewissen „Engstirnigkeit“. Selbst meine eigenen Ausbilder tun sich oft schwer damit sich von gewissen „alten Gewohnheiten und Sichtweisen“ zu lösen – und die werden seit längerer Zeit damit konfrontiert sich „frei“ zu bewegen – weil sie eben über 10 Jahre Wing Chun Muster in sich haben.
Wenn ich nun aber von Anfang an sowohl die geradlinigen, als auch die runden Möglichkeiten zumindest aufzeige, dann ergeben sich dadurch gewisse Lösungsansätze in der Selbstverteidigung/Anwendung, die einigen Schülern einfach viel näher liegen und für sie besser funktionieren als andere. So sehr viele „Wing Chun“ Lösungen zBsp. in den Notlösungen (Griffbefreiungen usw.) funktionieren, so viel einfacher und passender können unter gewissen Umständen eben auch „andere Lösungen“ sein. Ob ich meinen Garten keilförmig vorschiebe (Wing Chun), oder dies „rund“ mache – und somit zwar keine ableitende „Spitze“ habe, dafür aber mehr Breite – das kann nur die Situation (und damit meine ich auch die sich gegenüberstehenden Personen) mit sich bringen und ist von Fall zu Fall passender oder unpassender.
Speziell im Bereich der Selbstverteidigung ist es meiner Meinung nach unerlässlich dem Schüler mehrere Möglichkeiten aufzuzeigen, da es „die EINE“ richtige Antwort auf solche Situationen nicht geben kann.
Hier kurz die oben angekündigte Analogie zu Kung Fu Panda 3: Po (der Kung Fu Panda) baut auf die von jedem bereits vorhandenen Grundlagen, Fähigkeiten & Fertigkeiten auf und adaptiert diese, anstelle allen „seinen Stil“ aufzuzwingen, was logischerweise bei den grundlegenden Unterschieden von Praying Mantis, Tiger, Affe, Kranich, Schlange und Panda nicht funktionieren kann.
Jahrelange Erfahrung im Unterricht von Schulklassen (überwiegend Mädels von der Volksschule bis hin zur Matura), aber auch mit körperlich äußerst zarten Mädels im Selbstverteidigungsunterricht in der Dao Schule oder in Kursen bestärken mich darin, aus jedem die eigenen Stärken rauszuholen anstelle von fixen Lösungsansätzen welche auf vor Jahrzehnten von mir erlernten Wing Chun Techniken basierende Ansätze vorzugeben. Realistische Selbstverteidigung heißt für mich auch klar zu machen, dass gewisse Kraftunterschiede eben nicht so einfach zu egalisieren sind und Kratzen, Beißen und Zwicken zwar unschön, aber funktionell sind.

Jede Möglichkeit – Keilförmig, Rund, Spiralig – hat ihre Vor- und Nachteile, so wie aber auch jede Situation ihre Vor- und Nachteile hat. Vieles von dem, was für „alte Wing Chun Hasen“ mühelos funktioniert führt für einige Neulinge (speziell wenn sie körperlich unterlegen sind) einfach nur zu Hilflosigkeit, weil die körperlichen Grundlagen (zBsp. Körperansteuerung) nicht vorhanden sind. Und speziell im Bereich der Selbstverteidigung ist es meine Verpflichtung Schülern Möglichkeiten an die Hand zu geben, welche „sofort“ und passend umsetzbar sind.
Die Kraft und Dynamik eines Sonnenfauststoßes (im Weiteren „Wing Chun Fauststoß“ benannt) mit den bekannten Vorteilen von mehrdimensionalem Eigenschutz, hoher möglichen Wiederholungsfrequenz usw. steht außer Frage – aber auch ein „einfacher“ Jab oder Schwinger hat – zur rechten Zeit eingesetzt – durchaus seine Berechtigung; Klar ist der Eigenschutz nicht so gegeben, die Körperdynamik eine andere, aber ab und zu „passt“ ein Jab eben besser an den Hals 😉

Auch ist es für ungeübte viel einfacher Kraft aus einer Rotationsbewegung zu erzeugen/übertragen als aus einer Aufrichtbewegung des Körper. Wenn diese Möglichkeiten aber nicht vorgezeigt und trainiert werden, wird der Schüler eben immer den WingTsun Fauststoß versuchen, auch wenn er nicht zur Situation bzw. seinen derzeitigen Fähigkeiten passt.
Ganz abgesehen davon, dass ich – um einen Jab vernünftig abwehren lernen zu können – eben auch jemanden im Training brauche, der einen Jab auch halbwegs vernünftig machen kann; Dass sonst nur „Wing Chun gegen Wing Chun“ dabei rauskommt ist ja nichts Neues – und die Wahrscheinlichkeit sowas in Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts zu benötigen ist recht überschaubar (nachdem die Zeiten der Hausbesuche ja vorbei sind).
Selbiges gilt für die Schrittarbeit; Beschränkungen auf lediglich den „WT-Schritt“ (Verfolgungsschritt mit Gewicht am hinteren Bein) sind für Körperbeherrschung, Grundlagenschulung und gewisse Nahkampfdistanz-Aktionen passend und sinnvoll – nur Körperdynamik und Flexibilität wird dem Schüler so keine vermittelt (was man ja bei vielen Wing Chun Stylisten im Internet beobachten kann). Lockere „Box-Schrittarbeit“ (sei es vom Boxen oder vom Stockkampf übernommen -> Transition) ist im Nahkampf / in Trittdistanz natürlich ebenso (meist) fehl am Platz – für andere Aktionen / Distanzen aber durchaus passend. Auch kann das Gewicht überwiegend am vorderen Bein (im Knie des Gegners) durchaus dazu beitragen diesen zu immobilisieren. Daher sollte die „Grundlagenschrittarbeit“ sich nicht auf die „Wing Chun“ Schritte beschränken, sondern auch die „Waffenschritte“ mit einbeziehen.
Worauf ich hinaus will ist, dass ein stilfreier Unterricht idealerweise nicht darauf aufgebaut ist, zuerst den einen Stil (Wing Chun – SNT bis MYC), dann den anderen (Taiji – Chen 18, div. Waffenformen, Seidenfäden und Pushhands), und danach den nächsten (Baguazhang) zu erlernen, sondern sich von Beginn an zwar an einem „Hauptstrang“ orientieren soll (und da bietet sich Wing Chun anhand des logischen Aufbaues wie oben ausführlich erwähnt an), paralell dazu aber auch die anderen Möglichkeiten bereits frühzeitig (also auf Schülerlevel) zumindest aufzeigen und anschneiden soll.
Wenn ich also nun von Anfang an über das reine Wing Chun hinausgehende Bewegungsmuster einbaue (sei es offline oder auch online, aus dem Poon Sao / Chi Sao / Pushands heraus sowie im Pratzentraining), so hoffe ich damit von Beginn an weniger eingeschränkte Bewegungsmuster und mehr Vielfalt beim Schüler zu erlangen. Und je weniger eingeschränkt die Bewegungsmuster sind, desto wacher und lebendiger werden die Übungssequenzen, da eben nicht nur „Pak/Fst“ oder Kettenfauststöße gemacht werden, sondern das, was gerade passt.
Mein Ziel ist es schließlich jedem die Möglichkeit zu bieten sich zu ent-wickeln und zu ent-falten.
Je länger ich dem Schüler gewisse Bewegungseinschränken (auch wenn sie stilistisch nötig sind) auferlege, desto länger wird es dauern bis er sich wieder „natürlich bewegen“ lernt, da lange eingeschliffene Muster eben genau das sind, was automatisch abgerufen wird. Das ist zwar einerseits ein Ziel der Kampfkünste – sich Muster so einzuschleifen, dass sie automatisch funktionieren/passieren – aber eben bei stilfreier Kampfkunst auf Basis eines breiten Bewegungsspektrums, und nicht auf Grundbewegungsmuster eines einzigen Stiles limitiert.

Ob ich damit einen Irrweg gehe – durchaus möglich; aber vieles von dem, was ich schon seit geraumer Zeit in meinem Unterricht umzusetzen versuche kommt nun nach und nach auch bei anderen Meistern (zBsp. Sifu Sergio Iadarola, Richard Clear) und Großmeistern (Sigung Kernspecht) an die Oberfläche und wird dort umgesetzt (wenn auch nicht immer so unterrichtet).
Wie heißt es bei „1, 2 oder 3“ so schön: ob ihr wirklich richtig „geht“ seht ihr wenn das Licht angeht
Bis dahin versuche ich nach bestem Wissen und Gewissen – und im Austausch mit meinen fortgeschrittenen Lehrern, welche selber schon über 15 Jahre Kampfkunst auf dem Buckel haben – die Dao Schule Tirol so zu leiten, dass daraus ganzheitliche, stilfreie Kampfkünstler erwachsen, welche sich auch so bewegen können – frei im Körper wie im Geiste, offen für Neues, Neugierig und im Bestreben nach Verbindung und Harmonie.
Sifu Günther Röder, November 2016

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Unterrichtsaufbau und Schwerpunkte der aufeinander aufbauenden Programme im ARTMA Curriculum – Arbeit aus 2013

Schriftliche Arbeit für den 5. Grad
Von
Sifu Günther Röder
Unterrichtsaufbau und Schwerpunkte der aufeinander aufbauenden Programme im ARTMA Curriculum

Unterrichtsaufbau – so wie er sein soll, Willkür oder übernommene Tradition?
Jeder Lehrer stellt sich natürlich die Frage, ob er das, was er unterrichtet so unterrichtet, dass der Schüler es so gut wie möglich aufnehmen und umsetzen kann.
Es geht hierbei jedoch bei einer Kampfkunst um eine andere Zielsetzung, als bei einer Kampfsportart bzw. Sportart im Allgemeinen. Nicht möglichst schnell viel Leistung erbringen, sondern eine umfassende, gleichmäßige und ganzheitliche Entwicklung sind hier die Zielsetzung.
Oft wird die Frage gestellt, ob es nicht sinnvoller wäre den Aufbau
1 SNT (Siu Nim Tao – Kleine Idee Form, Standform)
2 CK (Chum Kiu – Brücken Form, Schrittform)
3 BT (Biu Tze– stechende Finger, Schlangenform)
4 MYC (Muk Yan Chong – Holzpuppenform)
(um bei den waffenlosen Formen des als Basis dienenden Wing Tsun Systems zu bleiben) zu durchbrechen, und zBsp. mit der MYC oder Biu Tze anzufangen um somit schneller das „Ziel“ zu erreichen.

Bei unserem Austritt aus der EWTO im Jahr 2007 hätten wir dazu die Möglichkeit gehabt, dies zu tun, und den traditionellen Aufbau zu durchbrechen. Selbiges gilt beim Austritt von Sifu Franz und der Entwicklung von ARTMA im Jahr 2010.
Im folgenden will ich erläutern warum dies (hier kann ich allerdings nur für mich/uns sprechen – glaube jedoch, dass es sich mit dem Ansatz von Sifu Franz weitgehend deckt) nicht geschehen ist, und der Aufbau meiner Meinung nach ein äußerst sinnvoller, und für den Schüler hilfreicher ist:
Ich vergleiche Kampfkunst – im Gegensatz zu Kampfsport – gerne damit, dass ich mir einen umfangreichen Werkzeugkasten erarbeite, wogegen ich in der Selbstverteidigung oder im Kampfsport ein recht eingeschränktes Repertoire zur Verfügung habe, welches einem Hammer gleicht. Egal wie die Aufgabenstellung ist, wenn ich nur einen Hammer habe, kann ich nur einen Hammer benutzen – den lerne ich dafür aber gut zu nutzen und vielseitig einzusetzen.
Habe ich das Werkzeug Hammer wirklich gut im Griff, so kann ich damit sehr viele Problemstellungen gut bis sehr gut lösen, und brauche keinen umfangreichen Werkzeugkasten.
Ich will damit zum Ausdruck bringen, dass ein guter Kampfsport-Anwender in vielen Fällen einem Kampfkunstanhänger, der mit seinem Werkzeugkasten noch nicht umgehen kann, bzw. sich noch keinen umfangreichen Werkzeugkasten erarbeitet hat, in der Anwendung durchaus überlegen sein kann und anfänglich auch sein wird.

Kampfkunst erlernen ist kein kurzer oder einfacher Weg sondern eben Kung Fu – Harte Arbeit ….

Die waffenlosen Grundkonzepte von ARTMA (bzw. Wing Tsun) bestehen aus in sich (mehr oder weniger) abgeschlossenen, sich jedoch gegenseitig befruchtenden, aufeinander aufbauenden und ergänzenden Ideen & Vorgangsweisen. Manche sehen auch verschiedene Stile im Konzept des Wing Tsun vereint, was auch nicht ganz abwegig ist, wenn man Wing Tsun mit MMA (nur eben vor 300 Jahren) vergleicht. Dies macht meiner Meinung auch die Vielfalt der verschiedenen Sub-Stile bzw. Interpretationen aus.
Mit der MYC-Idee ausgeführte CK Aktionen unterscheiden sich eben von mit BT-Idee ausgeführte SNT Aktionen usw.
Während viele VT-Stile eher im aktiven, recht kräftigen MYC Bereich arbeiten, ist zBsp. die EWTO Variante sehr flexibel und anpassungsfähig.

Solange jedoch immer nur ein Teil beherrscht wird (Yin oder Yang), ist es eben nur ein unvollständiger Werkzeugkoffer, was unter Umständen dazu führen kann, dass genau das, was man gerade benötigen würde – fehlt!
Davon ausgehend, dass ich sowohl Yang, als auch Yin Fähigkeiten gleichermaßen beim Schüler fördern will (weil es eben ein ganzheitliches, umfassendes Konzept ist), muss ich ihn mehr oder weniger dazu zwingen, sich mehrere verschiedene Grundideen zu erarbeiten.
Ein von Haus aus kräftiger Schüler, welcher es gewohnt ist, mit Körperkraft Lösungen zu finden, wird mehr am „sich Anpassen“ arbeiten müssen (somit mehr Probleme mit den Yin-Konzepten haben), eine zierliche Frau, welche diesen „Kraft = Lösung“ Ansatz nicht von Haus aus im Körper verankert hat, wird sich im Bereich der Biu Tze anfänglich wohler fühlen/leichter tun, als in den Yang-lastigen Teilen.
Ich möchte für alle, die mit dem Yin/Yang Symbol nicht so vertraut sind nochmal erwähnen, dass es nur Yang (in dieser Arbeit oft als Synonym für „kräftig, hart“) oder nur Ying (für flexibel, anpassungsfähig) nicht gibt – in beiden ist immer ein Anteil des anderen Enthalten. Es sind auch nicht so sehr fixe Zustände, sondern Übergänge von „mehr dem einen“ zu „mehr dem anderen“ und umgekehrt. Somit finden wir natürlich in den „Yang-Formen“ SNT/CK (MYC) Yin Aspekte und in der Biu Tze und Kreisform Yang Aspekte.

Siu Nim Tao und Chum Kiu – wie baue ich einen soliden Gartenzaun:
Was sind nun Grundinhalte von SNT/CK, und warum sind sie für die weitere Entwicklung so wichtig:
Struktur, Stabilität und Geometrie, einerseits im Stand (SNT), andererseits auch in Bewegung (CK).
Die Fähigkeiten, seine Arme so zu positionieren, dass der eigene Körper dahinter so gut als möglich geschützt ist (man also einen stabilen Garten vor seinem Haus hat), dabei gleichzeitig aber solide & stabil zu stehen sind Grundaufgaben der SNT.
Das „Garten“ – Erklärungsmodell finde ich insofern hilfreich, da jedem klar ist, dass, wenn niemand in den Garten kommen kann, auch niemand ins Haus kann (funktioniert von der Grundidee als Erklärung aber vielleicht „am Land“ besser als in der Stadt).
Allein die Aufgabe die Bahnen & Positionen zu beschreiten ist sehr schwierig, und dies halbwegs korrekt zu meistern dauert schon eine gewisse Zeit. Dies war vielleicht im traditionellen Unterricht kein Problem, heutzutage werden aber paralell zu diesen Fähigkeiten auch noch von Anfang an diverse andere Ansätze zeitgleich unterrichtet (was sowohl Vor-, als auch Nachteile hat).
Gleichzeitig mit der Armgeschicklichkeit sollte in dieser Lernphase die Fähigkeiten der Beine (Stand, Schritte) so weit automatisiert werden, dass darauf aufbauend dann das Erlernen der CK niemanden vor ein „unlösbares“ Problem stellt. Solange beide Aspekte – Arme & Beine – noch mit viel Denken separat angesteuert werden müssen, ist eine Verknüpfung der beiden „Einzelteile“ äußerst frustrierend (sowohl für den Schüler, als auch für den Lehrer).
In der SNT lerne ich also erst einmal vor meinem Körper einen Gartenzaun aufzubauen, welcher Angriffe, die direkt auf meinen Körper gehen, keilförmig abgleiten lassen (unterstützt durch die Grundreaktionen Bong/Tan/Jum/Kao usw.).
Die einzige Möglichkeit in meinen Garten einzudringen sollte das Gartentor (Spitze des Schutzkegels) sein. (Dies gilt für geradlinige Angriffe – bei runden Angriffen muss ich den Gartenteil „auf den Kopf stellen“ und habe 2 Gartentore zu bewachen).

Damit diese Konzept funktioniert benötigt man
a) eine Idee des Gartenverlaufes (sprich die Bahnen der SNT)
und
b) eine gewisse Grundstabilität in Armen und Beinen

Um Angriffe dann wirklich abgleiten lassen zu können ist es wichtig sich die Geometrie der Grundreaktionen gut einzuschleifen (Yang Aspekt), gleichzeitig aber natürlich auch das Gefühl des „Begleitens des Gegners“ (Yin Aspekt) zu erarbeiten.
Über die SNT hinaus ermöglicht es die CK den Garten & das Haus so im Raum zu bewegen, dass man immer optimal zum Gegner hin ausgerichtet ist und somit das Haus nicht „eingenommen“ werden kann.
Neben der Grundschwierigkeit, dass neben den Armen nun auch die Beine (& der Raum) mit im Spiel sind, ist auch die Aufgabenstellung für die Arme nun eine weit schwierigere. Während in der SNT lediglich ein Arm aktiv Bahnen beschreitet (während der andere scheinbar bewegungslos im Sao Chong verweilt), oder beide Arme die gleichen Bewegungen machen (Ausnahme der 8. Satz, in welchem die Bahnen „zeitversetzt“ angefahren werden), muss in der CK nun bewerkstelligt werden, dass beide Arme gleichzeitig in unterschiedlichen Bahnen „fahren“.
Somit ein weit höheres und teilweise schon sehr forderndes Anforderungsprofil für den CK Schüler.
Zusammenfassend sind Grundaufgaben der SNT/CK also sich einen stabilen Garten zu erarbeiten, welcher es ermöglicht Angriffe des Gegners am Gartenzaun entlang „um ́s Haus“ umzuleiten. Dies benötigt ein gewisses Maß an Stabilität & Struktur (Yang) in Armen und Körper. Einziger „Zugangspunkt“ des Angreifers sollte das Gartentor sein, was anhand verschiedenster ChiSao Abläufe immer und immer wieder geübt wird. Bildlich gesprochen: ein Wachhund wird am Gartentor mit einer kurzen Kette angebunden und soll dieses bewachen.
Wir gehen nun davon aus, einen stabilen Garten erarbeitet zu haben, den Angreifer entlang dem Gartenzaun leiten zu könnene (kleben bleiben) und das Konzept von „ist es möglich stoße ich vor, wenn nicht leite ich um“ verstanden zu haben.
Ich habe mir also – um in der Idee des Werkzeugkastens zu bleiben – Hammer, Beißzange und Schlitz- und Kreuzschraubenzieher erarbeitet.
Fragestellung (Angriff) – Antwort (Abwehr/Parade) und Gegenantwort (Konter/Riposte) erfolgen (meist) zeitlich nacheinander.
Welche (tendenziell) Yin – Schwerpunkte gibt es bis zu diesem Zeitpunkt in der Ausbildung des Schülers:
* Basisflow, Gelenkspiel – durchgewegen und „gängig“ machen der großen Gelenke, Bewußt machen, was wie bewegt werden kann, Körpergefühl erarbeitet haben
* Gefühlstraining – Daan Chi, Poon Sao, Push Hands, Response, Chi Sao, Chi San, Chinna * Qigong Elemente – Stehende Säule, Baduanjin, Yoga Flows
* Waffentraining – Speer (zumindest was Körperflexibilität angeht)
Auch wenn die Anwendung von SNT & CK grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt sehr Yang sind, könnten sie natürlich auch Yin ausgeführt werden – nicht jedoch auf diesem Level des Schülers.

Biu Tze– der Garten ohne Zaun
Wer braucht schon einen Zaun, wenn er scharfe Hunde hat…
Was sind nun Grundinhalte der Biu Tze, und warum sind sie für die weitere Entwicklung so wichtig:
Lösen & Wiederfinden der Struktur, flexible Peitschenkraft, Raumdeckung, Timing, Angreifen statt Abwehren
Darauf aufbauend, dass ein stabiler Stand und die Grundbewegungsmuster der SNT & CK sitzen, kommen nun zum Teil völlig andere Konzepte & Ideen hinzu und lösen teilweise die bisherigen Konzepte ab oder ergänzen sie. Der Körper (& Geist) bekommt zusätzlichen Handlungsspielraum, neue Bewegungsmuster & Möglichkeiten.
Dies führt dazu, dass sich bisher erarbeitete Lösungsansätze manchmal umständlich oder „klobig“ anfühlen. Ein Grund, warum vor Erlernen der Biu Tze das SNT/CK Potential wirklich voll ausgekostet worden sein sollte, denn andernfalls nimmt der Körper gerne „Biu Tze – Abkürzungen“, was per se ja nicht schlecht ist, aber eben gewisse SNT/CK Fähigkeiten nicht entwickelt (was gegen die Ganzheitlichkeit spricht).
Andererseits heißt Biu Tze lernen aber natürlich auch – wie auch bei den anderen Schritten – dass man sich teilweise von hart erarbeiteten und liebgewonnenen Lösungen verabschieden muss, um sich für neue Konzepte & Lösungsansätze zu öffnen.
Auch wenn man einen 9er Nußaufsatz in seinem Werkzeugkasten vielleicht nur 1 x alle 3 Jahre benötigt (wenn überhaupt), so ist man in diesem einen Fall dann doch sehr froh darüber, ihn in seinem Werkzeugkasten zu finden, um das Problem optimal lösen zu können. Alle anderen Lösungsansätze (Zange oder ähnliches) könnten zwar helfen, sind aber eben nicht wirklich die passenden.
Während sich der Schüler in der SNT/CK darauf verlässt, dass der Angreifer „am Gartenzaun entlanggeleitet wird“ (= begleitet, kleben bleibt), werden nun die Bereiche „im Garten“ und „außerhalb vom Garten“ erarbeitet. Hier drängt sich der Vergleich mit scharfen Wachhunden, welche nicht das Gartentor selbst bewachen, sondern Freilauf im ganzen Garten haben, auf. Diese lassen den Angreifer zwar eventuell hinein, aber sicher nicht mehr hinaus. Ab und zu fangen sie den Angreifer auch schon auf der gegenüberliegenden Straßenseite ab bzw. verschrecken diesen durch bellen/knurren oder einfach ihre bloße Anwesenheit (Ausstrahlung).
Diese Herangehensweise erfordert nun einen flexiblen Körper, viel Gefühl, Timing und optisches Arbeiten, weil der Schüler eben wissen sollte, wann sich wer wo im Garten aufhält und wie dem Einhalt geboten werden kann wenn nötig.
Die Winkelarbeit ändert sich, der Körper übernimmt teilweise die Meidebewegung während gleichzeitig der Arm angreift (es wird also eine Zeit „eingespart“). Die Biu Tze Lösungsansätze sind meist schneller, direkter, nicht jedoch so sicher wie jene von SNT/CK Lösungen.
Zusätzlich zu diesem Yin-Schwerpunkt arbeitet der Schüler natürlich weiterhin auch an den vorangegangenen (tendenziell) Yang – Übungen der SNT & CK.

MYC – Mein Haus kann sich bewegen
Was sind nun Grundinhalte der MYC, und warum sind sie für die weitere Entwicklung so wichtig:
Ganzkörperarbeit, Struktur, Winkelarbeit, optisches Arbeiten, Verbessern von Yin & Yang, Seidenfäden
Sowohl Yang, als auch Yin Aspekte des Schülers sind schon recht solide ausgebildet, meist jedoch vom Konzept her noch „entweder – oder“.
Die MYC schult nun beides kombiniert einzusetzen, die Arme Yang zu halten und die Beine Yin. Dadurch eröffnen sich völlig neue zusätzliche Möglichkeiten – ich kann nun den Gegner bewegen (bedingt durch die satt verbesserte Körperstruktur aufgrund des Puppentrainings), oder eben mich um den Gegner herum bewegen. Gleichzeitig kann ich mit schlängelnder, schneidender Kraft ebenso wie mit brachialer keilförmiger Kraft in den Gegner eindringen – oder eben eine Mischung aus beidem verwenden.
Vor allem aber wird es dem Schüler/Lehrer möglich aufgrund der Schrittarbeit sehr viel optischer/aktiver zu arbeiten, da der Garten ja bereits via SNT/CK „stabil sicher“ und via BT „flexibel sicher“ geworden ist. Die taktilen Fähigkeiten müssen nur mehr dann greifen, wenn die optischen allein nicht ausgereicht haben.
Die Grundidee liegt nun nicht mehr darin, seinen Keil nach vorne zum Gegner zu schieben und diesen nach Kontaktaufnahme „umzuleiten“, sondern die Bahnen des Angreifers vorab zu Lesen, entsprechende Gegenbahnen (vor allem dank Schrittarbeit & stabilerer Bahnen) zu fahren und dem Gegner somit meine Aktionen aufzuzwingen. Für den Fall, dass dies nicht funktioniert hat der Schüler (mittlerweile Lehrer) sich durch jahrelanges Training genügend taktiles Vermögen erarbeitet eventuelle „Störeinflüsse“ des Angreifers umzuleiten und zwischen den Yin & Yan Möglichkeiten entsprechend auszuwählen.
Die Holzpuppe beinhaltet also beides – Yang (erarbeitet in SNT/CK, verbessert an der MYC) & Yin (erarbeitet in der BiuTze, verbessert an der MYC).
Außerdem löst die jahrelange Bewegungserfahrung mehr und mehr mittels optischem „Lesevermögen“ die taktilen Reaktionsgruppen ab, und nutz diese nur mehr, wenn es sein muss.
Zusammengefasst wurde also zuerst mit dem „Einfachsten“ (Koordination & Positionierung der Arme bei stabilem Oberkörper/Stand), über das Schwierigere (Einbeziehung des Oberkörpers & Flexibilität in der BT), bis hin zum Schweren (der systematischen Beinarbeit) der ganze Körper zur Entwicklung von „Körperintelligenz“ gezwungen. Es stehen somit 3 teilweise komplett unterschiedliche Antwortmöglichkeiten zur Verfügung, welche sich im Idealfall automatisch ergeben.
Anders betrachtet wurde die Aufmerksamtkeit vom Handgelenk über Ellbogen, Schulter, Rumpf ins Dantien gleitet, um von dort wieder Richtung Beine & Arme ausstrahlen zu können. Durch Äußere Übungen wurde nach und nach Innere Energiearbeit geleistet, welche nun beginnt von innen heraus die Bewegung entstehen zu lassen. Somit werden die Bewegungen nicht mehr gemacht, sondern sie können entstehen.

Geistige / Emotionale Entwicklung durch die waffenlosen Formen:
Ein nicht zu verachtender Punkt, welcher gerne übersehen wird, ist die Wechselwirkung zwischen dem, was wir tun und wie wir dadurch werden.
Für einen ganzheitlichen Ansatz darf dieser Aspekt natürlich auch nicht außer Acht gelassen werden.
Siu Nim Tao:
Diese schult den Umgang mit einem selbst, erkennen der eigenen Grenzen und Unzulänglichkeiten. Der Schüler ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass eine Interaktion mit dem „Gegenüber“ kaum stattfindet. Sämtliche geometrischen Aspekte beziehen sich auf einen „gespiegelten Gegenüber“ – somit eigentlich auch wieder sich selbst. Nicht umsonst wird die SNT auch als Bewegungsmeditation bezeichnet.
Chum Kiu:
Hier erfolgt schon eine gewisse „Interaktion“. Nachdem der Schüler seinen eigenen Garten, seine Emotionen, seine Leidensfähigkeit im ständigen Wiederholen der immer wieder gleichen Bewegungen geschult hat kommt nun der Aspekt des „Raumes“ dazu. Es wird wichtig, „wie ich zum Gegenüber stehe“ – und zwar auf zweiterlei Hinsicht – geometrisch, als auch emotional. Immer noch damit beschäftigt seine eigenen Grenzen & Emotionen „im Zaun“ zu halten ist auch hier immer noch vordergründig, dass niemand unerlaubt in meinen Bereich eindringt. Ob das nun körperlich oder verbal/emotional ist, macht eigentlich keinen Unterschied. Der Schüler versucht seinen eigenen Bereich zu schützen, mit sich selbst im Reinen zu sein – und zwar großteils dadurch, dass der eigene Garten gewahrt bleibt und der Gegner in einem gewissen Abstand zu einem selbst vorbeigeleitet wird. Was vielen Schülern körperlich viel leichter gelingt, als im Bereich von verbalen/emotionalen Übergriffen.
Biu Tze:
2 Aspekte, welcher hier beachtet werden sollten sind wie folgt:
Einerseits wird der Handlungsspielraum, wie nahe jemand etwas an sich heranlässt ohne direkt betroffen bzw. getroffen zu werden größer, andererseits kommen hier erstmals wirkliche direkte Angriffe (im Gegensatz zum Konter der SNT/CK) ins Spiel.
„Die Biu Tze verlässt nicht das Haus“ könnte in diesem Zusammenhang auch so interpretiert werden, dass der Biu Tze Schüler schon in sich gefestigt sein muss, da eben ein Aspekt der Biu Tze die Möglichkeit des Tötens des Gegenüber beinhaltet. Viele Schüler haben damit (zum Glück) Probleme, und bedürfen einer guten Führung, um diesen Aspekt zu „verdauen“.
Einem Schüler ohne langjährigen Auseinandersetzen mit sich selbst und der Entwicklung einer gewissen inneren Ruhe und Gelassenheit die Biu Tze beizubringen ist meiner Meinung nach grob Fahrlässig. Die Gefahr, dass der unausgeglichene Schüler/Lehrer, das „Tötungspotential“ der Biu Tze mißbraucht ist groß. Die Erkenntnis, dass Töten können bedeutet, in einem Kampf viel länger nicht töten zu müssen (weil eben der Aspekt der Notlösungen viel Handlungsspielraum einräumt) ist unabdingbarer Bestandteil der emotionalen/geistigen Entwicklung.
MYC:
Auch wenn man in der BT den Aspekt des Tötens bereits zu verdauen begonnen hat, dies aber immer noch als Reaktion und Ausweg aus einem Übergriff auf einen selbst sieht (Notlösung), so beginnt man in der Holzpuppe aktiv dem Gegenüber seinen Willen aufzuzwingen.
Nicht mehr anpassungsfähige Adaption an den Gegenüber, sondern Adaption des Gegenüber an das was man selbst will ist hier Bestandteil der Entwicklung. Dem Gegner wird somit der eigene Wille aufgezwungen – sollte das nicht gelingen wird eben (dank der Entwicklung der eigenen Anpassungsfähigkeit & Flexibilität in SNT, CK & BT) die Ausgangslage geändert – das Ziel bleibt aber bestehen. Gleichzeitig dazu vermittelt die Holzpuppe ein gewisses Maß an „geerdet sein“ und mit dem Gegenüber/der Puppe in Verbindung zu stehen. Somit wird zwar einerseits das Durchsetzen des eignen Willens, andererseits aber auch gleichzeitig ein höheres Einfühlungsvermögen in den Gegenüber bewirkt. Speziell hier (wie aber auch im WingTsun allgmein) ist die Gefahr groß, zum Egoisten zu werden, der nur seinen eigenen Vorteil im Auge hat und dieses Ziel skrupellos verfolgt. Eingebettet in „nicht Wing Tsun spezifische“ Zusatzübungen wie Meditation sollte der Schüler/Lehrer hier allerdings schon so weit auf dem Weg des Edlen gegangen sein, dass er erkennt, dass alles eins ist, und er sich dadurch nur selbst schaden würde.

Wie passen nun die verschiedenen Waffengattungen in den Programmaufbau?
Auch hier wird Yang-lastig begonnen:
Der Stock/Speer als erste Waffe schult erstmal grundlegende Struktur, ermöglicht über seine Länge eine sehr gute Einschätzung von Bahnen/Gegenbahnen und Timing und erweitert das Bewegungsspektrum. Die Waffe als Erweiterung des menschlichen Körpers soll sich etablieren. Stabiler Stand und Kraftübertragung aus dem ganzen Körper sind grundlegende Benefits dieser Waffengattung. Anhand des Speeres als Grundlage für alle weiteren Waffengattungen erarbeitet man sich ein recht umfangreiches Bewegungsrepertoir, auf dem viele der weiteren Waffen aufbauen können.
Das mittelalterliche Schwert greift nahtlos die Grundidee des Arbeitens aus dem ganzen Körper auf. Die schwere der Waffe (sofern man eine „richtige Waffe“ benutzt, was meiner Meinung nach unerlässlich fürs Formentraining ist) lässt ein Arbeiten aus den Armen oder dem Handgelenk einfach nicht zu. Die Huten und Häue, welcher der Schüler sich erarbeitet finden sich (logischerweise) in den anderen Waffengattungen teilweise wieder. Weiters folgt auch eine „Überleitung“ der bisher eher chinesischen Ausrichtung auf eine europäische, weil das Schwert bei uns in Europa ja lange Zeit eine recht große Rolle spielte. Hiebe, Stiche, Schnitte – meist mit großer Körperbeteiligung ausgeführt, stärken die Struktur.
Dao – noch immer Yang lastig (also mit starken Hieben), aber bereits mit einem leichten Ansatz von Yin – Aspekten; Elegantere, flüssigere Bewegungen, welche durch die leichtere Waffe ermöglicht werden bringen ein noch besseres Körperbewußtsein, diesmal jedoch schon auf etwas feinerer Ebene.
„Yin“ – Waffen: Jian / Degen / Rapier / Säbel
Durch die Leichtigkeit der Waffen, den Focus auf scharfe Schnitte und Stiche, fördert speziell die Jian Form eine sehr subtile, feinstoffliche Verbindung von Körper & Körpererweiterung (Waffe). Nicht umsonst wird beim Taijiquan das Jian als „König der Waffen“ angesehen. Es bringt in der Entwicklung ungemeine Fortschritte, fordert jedoch dafür im Gegenzug natürlich viel Kung Fu (Harte Arbeit).
Je schmaler dann die Waffe, desto feiner & eleganter die Meidebewegungen, direkter die Stiche und wichtiger die flexible, leichte Schrittarbeit. Wo man mit einem Schwert oder teilweise einem Dao noch „dagegenhalten“ kann, muss man mit einer leichten Waffe seine Körpergeschicklichkeit aufwenden, damit man nicht getroffen wird.
Yin & Yang vereint – Kurzwaffen
Sehr viel optisches Arbeiten (da ein Fühlen von vorne herein kaum möglich ist) schnelle, geometrisch geschickte Winkelzüge und viel flexible Körperarbeit, verbunden mit guter Struktur, sind Grundvoraussetzungen diese Waffengattung beherrschen zu lernen. Wie bereits die Holzpuppe beide Aspekte fordert, so sind auch die Kurzwaffen ohne „optischer Gartenbeherrschung“ ein aussichtsloses unterfangen. Im Gegensatz zur MYC sind hier optische Fehler aber kaum mehr taktil „auszubügeln“, weil ein Schnitt oder Stich eben viel verheerender Folgen hat als ein Angriff mit den Fäusten.

Geistige / Emotionale Entwicklung durch die Waffenformen:
Auch hier ist ähnlich dem waffenlosen Aufbau zuerst die Arbeit mit sich selbst, seinen eigenen Unzulänglichkeiten (wer die Speerform erlernt hat weiß, wovon hier die Rede ist), Starrheiten und Emotionen zu kämpfen. Erst dann werden die spezifischen Waffenübungen mit dem Partner ausgeführt. Mit ein Grund, warum die Waffen nicht von Anfang an unterrichtet werden ist sicher, dass sinnvolles, gefahrloses Partnertraining erst erlernt werden muss.
Waffentraining generell ist für den Kopf viel anstrengender & fordernder als waffenloses Arbeiten. „Nebenbei“ geht da gar nichts mehr, man muss voll bei der Sache sein oder es eben bleiben lassen.
Ähnlich wie bei SNT/CK beinhalten Stock/Speer und Schwert den Aspekt des „großen Gartens“. Der eigene Bereich wird großzügig abgesteckt und geschützt, (sinnvolle) aktive Angriffe sind eigentlich systematisch (mangels Bewegungserfahrung) kaum möglich. Es geht also auch hier vor allem darum, gewisse Grundlagen zu erarbeiten, eine Verbindung zwischen Waffe und eigenem Körper/Ich zu schaffen und sich selbst zu verteidigen. Es ist zum Beispiel nicht / kaum möglich, ein Schwert zu führen, ohne „dahinter“ zu stehen. Eine Eigenschaft, welche heutzutage scheinbar in Vergessenheit geraten ist – ich mache etwas und stehe dahinter – voll und ganz, mit sämtlichen Konsequenzen.
Das Dao und in weiterer Folge ganz stark das Jian entwicklen ein großartiges, feines Ganzkörpergefühl, eine Verbundenheit mit sich selbst. Die Waffe wird natürliche Erweiterung des eigenen Körpers. Ob das nun an der Waffe an sich oder der Tatsache, dass bis dorthin schon etliche Stunden Waffentraining vergangen sind liegt? Wahrscheinlich von beidem etwas. Natürlich ist das Potential mit so einem Instrument zu töten groß, aber gerade das Jian Partnertraining lässt mehr das Gefühl aufkommen den Gegenüber für Fehler zu Maßregeln und in die Schranken zu weisen, als töten zu wollen.
Bis hierhin haben die Waffen sehr starken Wert im Bereich Körperentwicklung, Förderung von Entschlossenheit aber auch ganz klar der (abstrakten) Erkenntnis, dass das Ziehen einer Waffe das Töten des Gegenüber zur Folge hat – also sollte man sich sehr gut überlegen, ob die Waffe nicht besser nicht gezogen wird.
Kaum jemand wird eine der bisher erlernten Waffen im Alltag bei sich tragen. Auch wenn die Fähigkeiten sehr stark gestiegen sind, die direkte 1:1 Anwendung im Alltag eine dieser Waffen einzusetzen wird sich kaum ergeben. Die bisherigen Waffen bisher sind also mehr Übungsinstrumente, welche gewisse Eigenschaften fördern, als unmittelbare Anwendung schulen.
Messer/Doppelmesser:
Hier handelt es sich nicht mehr um ein „abstraktes Übungsinstrument“. Messer sind Alltagsgegenstände und quasi immer griffbereit. Ein Messer dient auch nicht dazu, jemandem mal „auf die Finger zu klopfen“, wie ein Jian oder Stock. Hier geht es – ähnlich der BT & MYC darum, den Gegner zu töten. Ein gezogenes Messer im Zweikampf führt unweigerlich zu verheerenden Folgen (köperlich, emotional, juristisch).
Andererseits bringt ein Üben der Messerform (mir) interessanterweise Ruhe und Gelassenheit & Frieden. Auch hier gilt – die Möglichkeit, welche sich durch diese zusätzlichen/verfeinerten Fähigkeiten ergeben, eben nicht töten zu müssen, nicht zum Äußersten gehen zu müssen – lassen einen die Dinge in einem anderen Licht erscheinen. Es ist eigentlich viel mehr ein Arbeiten an sich selbst, seinen schlechten Angewohnheiten, Unsauberheiten und Unzulänglichkeiten, als ein sich auf den Ernstfall vorzubereiten.
Einen Schüler, der den Weg bis hierher gegangen ist, und nicht die Lebenskunst, sondern die Anwendung der Kampffähigkeit im Vordergrund sieht, sollte es nicht geben. Das würde der Idee widersprechen, dass ARTMA eine Bereicherung für die Gesellschaft darstellen soll, sondern würde – überspitzt formuliert – geisteskranke Killer erzeugen.

Jede Form, jede Waffe, jede Übung schult auf ihre spezielle Art und Weise gewisse Fähigkeiten – und genau darum geht es. Eine umfassende, ganzheitliche Ausbildung fördert anhand verschiedener Möglichkeiten gleichermaßen das Harte, als auch das Weiche, das Innen und das Außen. Je weiter ein Kampfkünstler auf seinem Weg schreitet, desto mehr erkennt er, dass in den Grundlagen bereits alles enthalten ist. Und desto mehr freut er sich darüber, an seinen Grundlagen feilen zu können.
Wie es mit den anderen Programmen weitergeht vermag ich jetzt noch nicht genau einzuschätzen. Klar ist allerdings, dass weiterhin an beiden Seiten der Medaille gleichermaßen gearbeitet wird, um sowohl Yin, als auch Yang kontinuierlich zu verbessern, um dem Kampfkünstler zu ermöglichen auf einer breiten Basis auf ein hohes Niveau (körperlich, wie auch geistig & emotional) zu erklimmen.
Würde ich heute wieder vor der Entscheidung stehen den Programmaufbau zu ändern oder beizubehalten – ohne Zögern würde ich die gleiche Entscheidung treffen, und von SNT/CK über Biu Tze zur MYC als sinnvollen, aufeinander aufbauenden Weg (Dao) an meine Schüler weitergeben. Ergänzt durch die (ebenfalls aufbauenden) Waffen und viele wichtige Zusatzübungen (Qigong, Yoga, diverse Übungskonzepte, Geistesübungen usw.) kann ich mir derzeit keine „rundere“ Möglichkeit vorstellen unsere Schüler auf dem Weg zum „Edlen“ zu begleiten, Werte zu vermitteln und ihm zu helfen ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu werden.
Sifu Günther Röder, Kolsass im April 2013

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Ähnlichkeiten und Überschneidungen anhand der Theorie von WingTsun Kuen und Taiji Quan – aus 2011

Günther Röder Auweg 9
6114 Kolsass

Ähnlichkeiten und Überschneidungen anhand der Theorie von WingTsun Kuen und Taiji Quan

Schriftliche Arbeit zum 4. Lehrergrad ARTMA

Ohne Wissen zu üben, führt genauso wenig zum Ziel wie viel zu wissen, ohne es anwenden zu können.

Die folgende Arbeit soll einerseits Überschneidungen der beiden Kampfkünste WingTsun & Taiji herausarbeiten, als auch aufzeigen, warum es wichtig ist, auch über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, um sich besser weiter entwickeln zu können.
WingTsun (speziell die EWTO Variante) zeichnet sich in der Theorie durch 4 Prinzipien, 4 Kraftsätze und deren Anwendung aus. Eine Kampfkunst, die es auch einem körperlich Unterlegenen möglich machen soll, sich gegen einen stärkeren Angreifer erfolgreich zu verteidigen, indem man nicht gegen die Kraft des Gegners arbeitet, sondern sich diese zu Nutze macht.
Selbiges habe ich auch schon des Öfteren über Taiji gehört/gelesen: dass es sich um eine Kampfkunst handle, die ohne viel eigener Körperkraft effektiv in der Anwendung sei.
Meist sieht man jedoch nur ein paar Leute im Park, die sich in Zeitlupe bewegen, um etwas für ihre Gesundheit zu tun.
Folgende oftmals gehörte/gelesene Aussage liegt meinem Vergleich zugrunde:
Bei Taiji handelt es sich um einen Inneren Stil, der in seinem Ursprung sehr gut zum Kämpfen geeignet ist, sich aber mittlerweile auf den Gesundheitsbereich spezialisiert hat. WingTsun ist ein Nahkampfstil, der sich vor allem in Richtung „Funktionieren im Ernstfall“ entwickelt hat.
Auf den folgenden Seiten möchte ich nun ein paar Ähnlichkeiten aufzeigen – in wie weit beide Stile voneinander beeinflusst wurden oder ob es sich nur um eine teilweise „Parallel- Entwicklung“ handelt, möge jeder für sich selbst entscheiden.
Weiters möchte ich bei der genaueren Betrachtung der Taiji-Energien auch darauf eingehen, wie sich die beiden Systeme gegenseitig befruchten könnten.

Die Geschichte / der Ursprung:
Waren es der Legende nach im Taiji eine Schlange und ein Kranich, die dem System seine Grundzüge gaben, so waren es im WingTsun ein Fuchs und ein Kranich. Entsprechend der Fußnote 10 in „Die Geschichte des Yip Man Stiles“ könnten es aber auch eine Schlange und ein Kranich gewesen sein. Also bereits in den Entstehungslegenden sehen wir erstmals frappierende Ähnlichkeiten. In wie weit diese Legenden ernst zu nehmen sind, sei natürlich in den Raum gestellt.
Wie wahrscheinlich jede ernstzunehmende Kampfkunst, so entspringt auch Taiji ursprünglich der kriegerischen Auseinandersetzung.
In den ersten Perioden war Taiji eine reine Kriegskunst (General Chen Wanting, Yang Luchan und Chen Fake waren durch den Ruf, unbesiegbar zu sein, bekannt). Erst durch die Herausnahme vieler kämpferischer Aspekte und die Vereinfachung (moderner Yang Stil) sowie die Ausrichtung in Richtung „Gesundheitsstil“ kam es zu einer Verbreitung in größerem Stil.
Auch WingTsun wurde in Geheimgesellschaften dazu entwickelt/genutzt, um den Gegner so schnell als möglich auszuschalten – schnell, kompromisslos, schnörkellos: Funktion pur sozusagen.
Im Laufe der Jahrzehnte änderte sich natürlich das Anwendungsgebiet für die Kampfkünste. Heute läuft kaum jemand mit Doppelmessern am Bein herum und muss fürchten, als „Rebell“ aufzufliegen, wenn er sein Gegenüber nicht schnell genug ausschaltet.
Aber nicht nur das Umfeld, auch die Trainierenden änderten sich. Waren es anfangs im WingTsun größtenteils „einfache Leute“ wie Köche und Kellner und nur in Ausnahmefällen Gelehrte, die WingTsun erlernten, so ist WingTsun heute Studienfach an der Universität in Plovdiv. Folglich ist also nicht mehr nur die Tatsache, dass WingTsun eine effektive Kampfkunst ist wichtig, sondern auch das Warum und die philosophischen Hintergründe sollten eine wichtige Rolle spielen.

Im vorigen Jahrzehnt wurde auch im WingTsun mehr und mehr der Gesundheitsaspekt in den Vordergrund gestellt und eine eigene Gesundheitsschiene entwickelt (obwohl speziell mit der Gesundheits-SiuNimTao gemäß Professor Chu bereits ein äußerst hoher Gesundheitswert gerade in dieser speziellen Form integriert war). Diese „Erweiterung“ erfolgte jedoch nicht auf Kosten von WingTsun als Kampfkunst, sondern als parallele Schiene. Somit blieb im WingTsun immer die kämpferische Ausrichtung hinsichtlich Effektivität als oberste Prämisse erhalten (wenn auch neuerdings ergänzt/optimiert hinsichtlich moderner Anforderungen, die z. B. das Notwehrrecht mit sich bringen).
Nicht so im Taiji, wo der Großteil der Ausübenden wahrscheinlich gerade einmal gehört hat, dass Taiji eine effektive Kampfkunst wäre, sich aber lediglich für den Gesundheitsaspekt interessiert. Es soll auch sehr schwierig sein, überhaupt noch Lehrer zu finden, die kämpferisches Taiji unterrichten.

Der Stand:
Während im WingTsun der IRAS die Grundlage bildet, ist es im Taiji die Zhangzhuang (Stehende Säule).
Im Folgenden stelle ich gegenüber, wie im WingTsun (SiuNimTao Buch von GM Leung Ting – englische Version) und im Taiji (Chen von Jan Silberstorff) wichtige Punkte für den korrekten Stand beschreiben werden.
WingTsun-Mottos für den Stand:
• Drücke den Kopf in den Himmel und stehe fest/stabil am Boden.
• Kopf hoch mit horizontalem Blick
• Entspannte/aufnahmefähige Brust und erhabene/aufrechte Wirbelsäule
• Strecke die Hüfte und senke den Bauch.
• Sinkender Ellbogen und sinkende Schultern
Taiji-Mottos für den Stand:
• Am Scheitel wie aufgehangen
• Entspannen der Wirbelsäule
• Leer werden im Brustbereich
• Entspannen von Schulter und Hüfte
• Entspannen von Ellbogen und Knien
• Entspannen von Händen und Füßen
Beide Male steht der Ausführende ca. schulterbreit, mit dem Gewicht gleichmäßig auf beiden Beinen verteilt. Der einzige Unterschied liegt in der Beinhaltung: parallel im Taiji vs. nach innen rotiert im WingTsun.
Auch die „gestreckte“ Hüfte im WingTsun ist so zu verstehen, dass weder Hüfte, noch Hintern aus der Schwerlinie hinausragen und eine aufrechte Haltung erreicht wird. Der Stand dient nicht nur dazu, anatomisch funktionell zu stehen, sondern auch dazu, dass der Geist abschaltet und die Muskulatur sich entspannt (1. Kraftsatz: „Befreie dich von der eigenen Kraft“ – und zwar nicht nur muskulär).
Der große Unterschied liegt allerdings darin, dass im WingTsun der Stand oftmals nur als Einleitung zur Form gesehen wird, wohin gegen er im Taiji eine tragende Rolle innerhalb des Systems hat.
Im WingTsun wird gestanden, „um zu stehen“, im Taiji dient die Stehende Säule als Ausgangspunkt für die Energiearbeit und die Seidenfäden-Übungen.
Während in der Stehenden Säule das Zentrum mehr oder weniger durch Bewegung unverändert bleibt, wird in den Seidenfäden-Übungen die Struktur im Körper bewegt – ohne jedoch das Zentrum zu verlieren.

Ähnliches sollte auch in der ChumKiu vorhanden sein – ständiges Gleichgewicht in allen Bewegungen (nicht umsonst schreibt GM Kernspecht in „Zweikampf“, dass wir nicht 100 % unserer Energie in einen Schlag legen sollen, sondern immer noch genügend Reserven für unser Gleichgewicht behalten sollen).

Kampftheorie:
Da Überschneidungen in diesem Bereich bereits ausführlich auf der EWTO-Homepage am 30/09/2004 im Zuge des Kommentars von Meister Jan Silberstorff zum Buch „Der letzte wird der erste sein“ nachzulesen sind, hier nur eine kurze Zusammenfassung:
„Wenn der Feind sich nicht bewegt, bewege ich mich auch nicht. Sobald der Gegner sich bewegen will, bewege ich mich zuerst/bin ich schon da“ – eine Theorie, zu welcher in Sigung Kernspechts Buch die wissenschaftlichen Hintergründe näher erläutert wurden (Bereitschaftspotential/Bewusstsein/Handlung), indem er darlegte, dass bis zum Erleben eines Entschlusses bereits 0,3 Sekunden vergangen sind.
Die Energie-Idee der Peitsche (weiche, elastische Übertragung der Kraft) ist sowohl im WingTsun, als auch im Taiji zentraler Bestandteil.
Auch folgende Theorie ähnelt sich sehr:
„Verfolge nicht die Arme, sondern den Körper“ gegenüber
„Folge nicht den Bewegungen des Gegners, sondern seinem Zentrum“.
Ich ziehe hier gerne folgendes Beispiel für meine SchülerInnen heran:
Ein Stock, der einfach nur so herumliegt, wird mich nicht angreifen – von ihm geht also keine Gefahr aus. Ein Gegner, der mit einem Stock bewaffnet ist, benutzt den Stock, wird mich aber auch dann weiter angreifen, wenn ich den Stock kontrolliere. Wenn ich also die Situation unter Kontrolle bringen will, muss ich den Gegner kontrollieren, nicht nur seine Waffen.

Außenpositionen:
Auch wenn im WingTsun sehr viel in Innenpositionen trainiert wird (ChiSao, LatSao), so ist es doch nicht das Ziel, in dieser Innenposition zu verharren. War es früher erst die Holzpuppenform und deren Anwendung, welche die WingTsun Anwender quasi „nach Außen“ brachte, so ist es heute bereits ab der ersten Stunde in den Blitzdefence- Programmen das Bestreben, eine Außenposition einzunehmen. Auch wenn dies für Anfänger hinsichtlich Ausrichtung auf den Gegner/Zentrallinie nicht so leicht zu verstehen/bewältigen ist wie in der frontalen Position, so bringt es doch einen enormen Vorteil hinsichtlich Sicherheit für den Ernstfall.
Im Taiji ist es auch die Außenposition, welche in den Schiebenden Händen vorrangig angestrebt wird.

Der nun folgende Vergleich wird nun eingehender betrachtet, da er meiner Meinung nach eine tragende Rolle in beiden Systemen inne hat und gerade in diesem Bereich beide Systeme enorm von einander profitieren könnten:

ChiSao vs. Pushing Hands
bzw.
Einüben von Bewegungsmustern vs. Verständnis für im Kampf auftretende Energien

Waren es in den Sektionen – so wie sie zu meinen EWTO Zeiten vermittelt wurden – immer nur Bewegungsabläufe mit der Absicht, den Trainingspartner zu treffen, welche gedrillt wurden, so scheint es den Taiji ́lern genau umgekehrt zu gehen: Hier ist die Verbindung zum Gegenüber, samt daraus folgender Energiearbeit, der wesentliche Grundgedanke. Es herrscht im Taiji viel Wissen um die verschiedenen Energien, welche im Kampf auftreten können, es gibt jedoch scheinbar keine wirklich strukturierte Trainingsmethodik, diese entsprechend zu trainieren. Somit ist es für mich eine logische Schlussfolgerung, das Wissen um die Energien mit den Trainingsmethoden der „Sektionen“ zu kombinieren, und beide Teile gemeinsam zu betrachten.
Ausgehend von den „geheimen Trainingsdokumenten der Familie Yang – Das Wesen des Taiji-Quan“ sowie Vorträgen von Sifu Herzog und über 15 Jahren eigener WingTsun Erfahrung, will ich versuchen, diesen Brückenschlag zu machen und anhand einiger Beispiele aufzeigen, welche Fähigkeiten/Energien in den Sektionen kultiviert werden sollten.

Ausgangslage:
Egal, von welchem Standpunkt aus betrachtet, ergibt sich in beiden Kampfkünsten ein Bereich vor dem Körper, der geschützt werden soll bzw. als „Puffer“ dient, welchen ich gerne als „Garten“ bezeichne.
Im Taij-Quan ähnelt der „Garten“ eher einem Ball, den ich vor meinem Körper herschiebe, im WingTsun eher einer Pyramide/Kegel mit dem (Ober)Körper als Grundfläche.
Wenn es gelingt, dass mein Gegenüber nicht in diesen Bereich eindringen kann, so kann er folglich auch meinen Körper nicht treffen, oder bildlicher formuliert: Solange der Einbrecher nicht in den Garten kommt, hat er auch keine Möglichkeit, das Haus zu betreten.
Die Unterschiede der beiden „Gärten“ rühren meiner Meinung nach daher, dass WingTsun als Kampfkunst zielgerichteter darauf aus ist, in den Gegner geradlinig einzudringen, um diesen auszuschalten (extrem sichtbar in einigen WingTsun Stilen), es im Taiji-Quan mehr darum geht, die Energie des Gegners von einem selber abzuleiten.
Grundlage in beiden Systemen ist, dass der „Garten“ eine entsprechende Stabilität aufweist. Dies geschieht durch Peng (abwehrende, aufblasende Energie).
Ähnlich einem aufgeblasenen Luftballon, den ich vor meinem Körper habe, entspricht meine Armhaltung („Ball umfassen“ aus der Zhangzhuan oder der WingTsun Keil) einem „Schutzschild“, welcher es mir ermöglichen sollte, zu fühlen, wohin der Gegner genau will.
Da wir davon ausgehen müssen, dass der Angreifer kräftig genug sein wird, unseren Garten einzudrücken, muss über entsprechende Fähigkeiten gewährleistet sein, dass der Gegner zwar sein Ziel erreicht, es aber eigentlich doch nicht erreicht, da es nicht mehr dort ist, wo es ursprünglich war. Dazu gibt es grundlegend zwei Möglichkeiten: entweder indem der Angriff verdrängend abgeleitet wird, oder indem der eigene Körper aus der Gefahrenzone entfernt wird.

Dies führt zu den nächsten zwingend notwendigen Energien nach Peng Jin: die rezeptiven oder sinnlich wahrnehmbaren Energien, die Grundvoraussetzung dafür sind, die Bewegungsabsicht des Gegners zu erfühlen.
Zhan Nian Jin – anhaftende und klebende Energie
Ting Jin – hörende Energie
Dong Jin – interpretierende Energie
Sowohl im WingTsun, als auch im Taiji-Quan gibt es spezielle Übungszyklen, um diese 3 Energien zu entwickeln und zu kultivieren – DaanChi & Poon Sao auf der einen, Tui-Shou / Pushing Hands auf der anderen Seite.
Das Training erfolgt normalerweise aus bereits erfolgtem Armkontakt und zielt darauf ab, sich über die Hände/Arme mit dem Gegner/Partner zu verbinden, sich an seine Bewegungen „anzuhängen“ und mit den Bewegungen mitzugehen bzw. an ihnen zu kleben (Zhan Nian Jin).
Der nächste Schritt ist dann, dem Gegner zuzuhören – also seine Bewegungsabsicht wahrzunehmen (Ting Jin).
Hören (wenn auch nicht mit den Ohren, sondern mit dem Tastsinn) ist insofern eine treffende Bezeichnung dieses Vorgangs, da es sich dabei um etwas handelt, das insofern passiv ist, als dass man es nicht erzwingen kann. Man muss sich also auf den Gegner einlassen und dabei selbst „leer“ sein. Dies bedarf natürlich einer gewissen Entspanntheit (Song), sowohl körperlich, als auch geistig. Ohne diese Entspanntheit und Flexibilität besteht auch kaum eine Chance, sich wirklich auf den Gegner/Partner einzulassen.
Nach dem Anhaften & Kleben sowie Hören geht es in weiterer Folge darum, interpretieren zu lernen (Dong Jin), also wahrzunehmen, wohin der Angriff/Impuls gehen wird. Je größer die Bewegungserfahrung in diesem Bereich, desto exakter dann natürlich die korrekte Interpretation der Bewegungsabsicht des Gegners.
Welchen Vorteil hat es nun aber, sich in die Bewegung des Gegners „einzuhängen“, und warum ist das so wichtig für Innere Stile?
Grob gesagt geht es darum, dass es mir eigentlich immer möglich ist, meiner eigenen Hand auszuweichen. Wenn ich es also schaffe, mich mit dem Gegner zu verbinden und seine Hand somit auch meine Hand ist, so ist es (zumindest theoretisch) ein Leichtes, von ihm nicht getroffen zu werden. Ich muss mich nur entsprechend anpassen, und der Angriff geht ins Leere.
Da es mir jedoch nicht nur darum geht, nicht getroffen zu werden, sondern auch darum, den Angriff nachhaltig zu beenden, benötige ich noch weitere Energien/Fähigkeiten, um auch selbst zu treffen.
Auch wenn die übliche Trainingsmethodik davon ausgeht, dass bereits Armkontakt besteht, so ist es doch so, dass dieselben Vorgänge natürlich dann auch bei Angriffen eines Gegners zum Tragen kommen (dies wird im WingTsun in „Offline-Anwendungen“ trainiert, im Taiji- Quan im Shan Shou).
Der Gegner greift an, ich gehe mit meinem Keil entgegen (Peng), nehme Kontakt auf (Zhan Nian Jin), erfühle (Ting Jin) und interpretiere (Dong Jin) die Angriffsrichtung, um dann aus verschiedenen Möglichkeiten auswählen zu können.
Die nun folgende Aufzählung einiger weiterführender Energiearten und ihre mögliche Übungsmethodik in Beispielen aus WingTsun Sektionen ist keinesfalls vollständig, soll aber helfen, diese besser zu verstehen und zu kultivieren.

Zou Jin – aufnehmende Energie
Kommentar:
Die Energie des Angreifers wird – wie bei einer Spiralfeder – aufgenommen.
Alternativ dazu besteht auch die Möglichkeit, Zou Jin dahingehend zu nutzen, dass ich mich an den Angreifer heranziehe.
Dies erfolgt jeweils ohne Ablenkung der ursprünglichen Bewegungsrichtung des Angriffs. Beispiele:
1. Sektion ChumKiu ChiSao – Aufnahme des Angriffs mittels Jum/Kao
4. Sektion Chum Kiu ChiSao – Aufnahme des Doppelfauststoßes mittels Quan Sao

Hua Jin – neutralisierende Energie
Kommentar:
Hier wird die zuvor aufgenommene Energie (Zou Jin) dem Angreifer wieder zurückgegeben. Beispiele:
1. Sektion ChumKiu ChiSao – Wiederkommen mittels Innenpak/Fst
4. Sektion Chum Kiu ChiSao – Wiederkommen mittels Doppelfaust
Ein weiteres sehr anschauliches Beispiel für Hua Jin scheint mir auch die Schwingerabwehr mittels Taan-Fauststoß – die Energie wird mittels Taan in den eigenen Körper umgeleitet und über den Fauststoß des anderen Armes direkt an den Angreifer zurückgegeben. Er schlägt sich also selbst.

Jie Jin – entlehnende Energie
Kommentar:
Man nimmt die gegnerische Energie wahr, aber anstatt sie aufzunehmen und zu neutralisieren, unterstützt man sie in der ursprünglichen Bewegungsrichtung. Dadurch fällt der Angreifer quasi in ein Loch und bekommt dann auch noch von hinten Unterstützung dabei.
Beispiel:
3. Sektion BiuTze ChiSao: „Old man showing the way“

Yin Jin – verleitende Energie
Kommentar:
Bei der Verleitenden Energie (Yin Jin) will ich den Gegner in eine für mich günstigere Position bringen.
Beispiel:
Hierfür wäre der Einstieg in die 3. Sektion ChumKiu ChiSao anzuführen. Dadurch, dass ich mit Quan Sao und Wendung die Distanz verändere (auch wenn ich den Partner etwas „ziehe“), verleite ich den Gegner dazu, mir zu folgen und den Kontakt zu halten.

Cuo Jin – ausfüllende Energie
Kommentar:
Entstandene Lücken in der Abwehr des Gegners werden ausgefüllt.
Beispiele:
2. Sektion BiuTze ChiSao: Gum/Chan Sequenz sowie viele weiter BiuTze Sequenzen 3. Sektion ChumKiu ChiSao: nach dem Einstieg Fak Sao (& Chan Sao)
6. Sektion ChumKiu ChiSao: Lap/Fak Sequenz

Na Jin – ergreifende Energie
Kommentar:
Ergreifen (& Fixieren) des Gegners, um ihn in weiterer Folge schlagen & treten zu können Beispiele:
2. Sektion ChumKiu ChiSao: bei der greifenden Hand der „Jum“-Hebel-Abwehr
3. Sektion BiuTze ChiSao: Sequenz mit dem Au-Kuen
4. Sektion ChumKiu ChiSao: Einstieg (Kam Sao)
Einstieg in die 1. Sektion Holzpuppe.

Zuan Jin – bohrende Energie
Kommentar:
Die bohrende Kraft dient zur Verstärkung der Trefferwirkung, so wie Schrauben die Verstärkung eines Nagels darstellen.
Beispiel:
4. Sektion ChumKiu ChiSao: Phönix-Fauststöße

Duan Jin – brechende Energie
Kommentar:
Diese Energie wird dazu genützt, dem Gegner z. B. die Rippen zu brechen. Beispiel:
3.Sektion ChumKiu ChiSao: Fak Sao

Zhang Jin – wachsende Kraft
Kommentar:
Diese Energie geht über Peng Jin hinaus und breitet sich noch weiter aus. Beispiel:
BizTze Fingerstiche

Chen Jin – sinkende Kraft
und Ti Jin – hebende Kraft

Kommentar:
Sinken und Heben des Gegners mit dem Ziel, ihm das Gleichgewicht zu brechen – jedoch nicht aus den Armen heraus, sondern aus dem ganzen Körper. Gleichzeitig mit der Entwurzelung des Gegners erfolgt auch immer eine Verwurzelung von einem selbst.
Beispiel:
7. Sektion ChumKiu ChiSao

An Jin – drückende/fesselnde/schiebende Kraft
Kommentar:
Durch Drücken der Arme auf den Gegner wird dieser gefesselt/immobilisiert, um ihn weiter zu bearbeiten, eventuell wird der Angreifer sogar weggeschoben. Beispiele:
3. Sektion ChumKiu ChiSao: beim Fesseln der gekreuzten Arme des Gegners
5. Sektion ChumKiu ChiSao: beim Fesseln des LanSao
6. Sektion ChumKiu ChiSao: hier allerdings in seitlicher Position.
Schiebende Variante:
1. Sektion ChumKiu ChiSao: nach dem Zug bei Pak/Handflächenstoß
2. Sektion ChumKiu ChiSao: bei der Abwehr mittels Armstreckhebel.

Cai Jin – pflückende/ziehende Energie
Kommentar:
Bei Cai Jin entsteht die entgegengesetzte Richtung zu An Jin, also ein schräg nach vorne und unten Fallen des Angreifers.
Beispiele:
2. Sektion ChumKiu ChiSao: Hebelabwehr (Jum-Variante)
3. Sektion ChumKiu ChiSao: beim Einstieg
Ebenso im Holzpuppen-Zug

Auch wenn es durchaus sinnvoll ist, die verschiedenen Energien vorerst einzeln zu üben und zu kultivieren, so ist doch entscheidend, diese später im Wechsel so ausführen zu können, dass sie sich gegenseitig unterstützen. Es ist auch so, dass natürlich in Bewegungssequenzen mehrere Energien gleichzeitig (z. B. greifen und ziehen in den Hebelsektionen), oder aber unmittelbar nacheinander benötigt werden können.
Grundvoraussetzung dafür, diese Energien auch wirklich sinnvoll üben zu können, ist ein guter Trainingspartner, bei dem man „ins Verlieren investieren kann, um das Gewinnen zu üben“.
Solange ich mit der Angst kämpfe, selbst getroffen zu werden, fehlt die nötige Entspanntheit, und der Trainingserfolg stellt sich nicht wirklich ein.
Man muss darauf vertrauen können, dass beiden Trainingspartnern daran gelegen ist, sich gegenseitig zu verbessern und auf den anderen aufzupassen.
Nur so ist es möglich, weg von reiner Körperkraft, hin zu Bewegungsabsicht (Shen) zu gelangen.
Natürlich gibt es wahrscheinlich genauso viele (wenn nicht mehr) Unterschiede zwischen WingTsun und Taiji.
Der größte Unterschied liegt meiner Meinung nach darin, dass WingTsun die kämpferische Anwendung im Vordergrund hat, und somit auch sein gesamtes Trainingskonzept darauf ausgelegt ist, so schnell als möglich effektive Mittel zur Selbstverteidigung zu haben.
Im Taiji hingegen scheint mir mehr der Weg das Ziel selbst zu sein. Insofern wird hier natürlich auch entsprechend unterrichtet/trainiert.

Folgende Punkte waren für mich persönlich besonders hilfreich, um mich als Kampfkünstler weiter zu entwickeln:
War es für mich früher einfach nur „in den Stand gehen“, so ist es nun ein permanenter Versuch, optimal ausgerichtet zu sein. Allein die Konzentration auf die korrekte Ausrichtung macht vieles einfacher, da ich nicht mehr ständig mit dem Gleichgewicht kämpfen muss und mich nun wirklich auch auf meine Übungen bzw. meinen Trainingspartner konzentrieren kann.
Auch die nun (teilweise) vorhandene Verbindung von den Armen bis zu den Beinen macht vieles erst richtig möglich, ohne übermäßig viel Muskelkraft einsetzen zu müssen. Funktionierende Muskelketten sind diesbezüglich einfach effizienter.
Das eingehende Befassen mit den „Taiji-Energien“ hat bei mir dazu geführt, darüber nachzudenken, warum ich in den Sektionen was wann mache bzw. machen sollte.
War es früher mehr ein „Abspulen“ der verschiedenen Grundbewegungen, so versuche ich nun wirklich das zuzulassen, was mein Trainingspartner von mir will (egal, ob er es nun will oder nicht). Dadurch entsteht viel öfter die Möglichkeit, geöffnete Lücken für mich zu nutzen und „durchzufließen“, als wenn ich nur mache, was der Ablauf vorsieht. Denn – wie ich auch meinen SchülerInnen immer wieder sage: Den richtigen Druck für etwas zu geben, ist weitaus schwieriger, als auf diesen zu reagieren.
Natürlich hat sicher auch das langjährige WingTsun Training einen Großteil dazu beigetragen, dass einiges nun einfach funktioniert (anderes eben noch nicht) – denn ohne das langwierige regelmäßige Training hilft auch das beste theoretische Hintergrundwissen nichts.
Je länger ich Kampfkunst mache, desto besser geht es mir damit – und genau so sollte es sein in einer Kampfkunst, die einen ein Leben lang begleitet.
Diesbezüglich ist es nun natürlich besonders hilfreich für die ganzheitliche Weiterentwicklung, nicht mehr nur auf einen Stil beschränkt zu sein, sondern stilfrei das vorhandene Potential bestmöglich auszuschöpfen versuchen.

Vielen Dank an alle, die mir bisher auf meinem Weg auf die eine oder andere Art hilfreich zur Seite gestanden sind. Ich hoffe auch weiterhin viel von ihnen lernen zu dürfen und meinen Beitrag zu leisten, die Kampfkunst weiter zu verbreiten.
Quellen:
Der letzte wird der Erste sein
Die Geschichte des Yip Man Stiles WingTsun Kuen
Roots & Branches of Wing Tsun
Vom Zweikampf
Siu-Nim-Tao of the WingTsun System Das Wesen des Taiji-Quan
Chen
Sifu Franz Herzog
Das Internet
Keith R. Kernspecht Keith R. Kernspecht Prof. Leung Ting
Prof. Leung Ting
Keith Ronald Kernspecht Prof. Leung Ting
Stuart Olson Jan Silberstorff
Günther Röder
Schriftliche Arbeit zum 4. Lehrergrad
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Schriftliche Arbeit zum 4. TG Günther Röder – WingTsun vs. Taichi 06/2006

Schriftliche Arbeit zum 4. TG Günther Röder – WingTsun vs. Taichi

Schriftliche Arbeit für den 4. Lehrergrad
Ähnlichkeiten und Überschneidungen in der Theorie von WingTsun Kuen
und
Taichi Chuan
von
Günther Röder (Plank) EWTO Nr. 95061-F

Ähnlichkeiten und Überschneidungen in der Theorie von WingTsun Kuen und Taichi Chuan

Wie ich auf die Idee kam diese Arbeit zu schreiben:
Dieser Bericht basiert auf über ein Jahrzehnt LeungTing WingTsun Erfahrung und einige Bücher und Informationen über Taichi Chuan.
Kurz zu meinem Background:
Nach vielen Jahren Fußball begann ich als 20 jähriger mit Kickboxen, um recht schnell zu erkennen, dass ich dafür schon zu alt und unbeweglich war.
Meine WingTsun Karriere begann ich 1996 in Innsbruck bei meinem Si-Suk, Gernot Redondo, welcher sehr viel Wert auf Effektivität im WT legt. Bei meinem Si-Fu, Oliver König, konnte ich in den letzten Jahren vermehrt feststellen, dass vieles „einfach funktionierte“, ohne sichtbare große Kraftanstrengung dahinter. So sehr ich anfänglich versuchte nur die Lehrgänge die nötig waren (Prüfungslehrgänge) bei ihm zu besuchen, da er mir persönlich in meinen Anfangszeiten noch teilweise zu „brachial unterrichtete“, so sehr lernte ich ihn/sein WingTsun in den letzten Jahren zu schätzen und heute vergehen kaum zwei Monate, in denen meine Frau Anja und ich nicht zumindest einen Lehrgang bei ihm besuchen (auch wenn dies meist 1.000 Kilometer Autofahrt bedeutet).
Weiters werde ich auch von Sifu Franz Herzog (dem langjährigen Lehrer von Anja) beeinflusst, welcher allein schon aufgrund seiner körperlichen Voraussetzungen, sicher aber auch aufgrund seines Hintergrundes als Physiotherapeut einen für mich sehr erstrebenswerten Weg des WingTsun gefunden hat.
Mein Si-Gung hat mich bisher sicher mehr intellektuell als körperlich beeinflusst, da ich nur einige wenige Lehrgänge bei ihm besucht habe, und auch Si-Jo hab ich nur ein mal im Rahmen der 25 Jahr-Feier „live“ erlebt (von sämtlichen irgendwo erhältlichen Videos mal ganz abgesehen).
Sifu Giuseppe, Sifu Bernd und Sifu Heinrich sind weitere Persönlichkeiten, die mich in der einen oder anderen Weise auf meinem Weg im WingTsun stärker beeinflusst haben.
Nicht zu vergessen natürlich meine Frau & Trainingspartnerin Anja, meine Trainingspartner und nicht zuletzt meine Schülerinnen und Schüler.

WingTsun (speziell die EWTO Variante) zeichnet sich durch 4 Prinzipien, 4 Kraftsätze und deren Anwendung aus.
Eine Kampfkunst, die es auch einem körperlich Unterlegenem möglich machen soll, sich gegen einen stärkeren Angreifer erfolgreich zu verteidigen.
Selbiges habe ich auch schon des öfteren über Taichi gehört/gelesen: dass es sich um eine effektive Kampfkunst handle, die ohne viel eigener Körperkraft effektiv sei. Meist sieht man jedoch nur ein paar Leute die sich in Zeitlupe bewegen.
Folgende oftmals gehörte/gelesene Aussage liegt meinem Vergleich zugrunde:
Bei Taichi handle es sich um einen Innerer Stil, welcher wohl auch mal ganz gut zum Kämpfen funktionierte, der sich aber nur mehr in Richtung „Gesundheit“ spezialisiert hat. WingTsun sei ein Innerer Stil, welcher sich hauptsächlich in Richtung „Funktionieren im Ernstfall“ hin entwickelt hätte.
Für mich persönlich muss WingTsun funktionieren weil es „von Innen heraus“ funktioniert, und nicht weil ich durch mehr funktionelle Kraft/Winkelnutzung meinem Gegenüber körperlich überlegen bin (was bei 168 cm Körpergröße recht selten der Fall sein wird – von meinen zarten SchülerInnen mal ganz abgesehen).
Ich persönlich halte sehr viel von der Theorie, welche unseren SchülerInnen bereits im 1. Programm nahegelegt wird – der beste Kampf ist der vermiedene Kampf.
Ich habe mich bisher nie prügeln müssen, und hoffe, dass dies auch weiterhin so bleibt. Sollte ich jedoch einmal in eine ernsthafte körperliche Auseinandersetzung geraten, bin ich mir sicher, durch WingTsun eine sehr effektive Möglichkeit zu haben, diese Auseinandersetzung zu meinen Gunsten zu entscheiden.
Nachdem in der WingTsun-Online Ausgabe vom September 2004 ein Editorial von Taiji- Meister Jan Silberstorff im Zuge des Buches „Der letzte wird der Erste sein“ zu lesen war, und hier wieder von Gemeinsamkeiten die Rede war machte mich das natürlich neugierig und ich begann mich mehr in dieser Richtung einzulesen. Vielleicht habe ich auch einfach nur „aus Versehen“ genau jene Bücher gelesen, die einem Zweig des Taichi entstammen, der viel Ähnlichkeit mit WingTsun hat – vielleicht haben aber wirklich beide Stile mehr als nur einige zufällige Gemeinsamkeiten.
Auf den folgenden Seiten möchte ich nun ein paar Ähnlichkeiten aufzeigen – in wie weit beide Stile voneinander beeinflusst wurden oder ob es sich nur um eine teilweise „Parallel- Entwicklung“ handelt möge jeder für sich entscheiden.

Die Geschichte:
War es der Legende nach im Taichi eine Schlange und ein Kranich, die dem System seine Grundzüge gaben, so war es im WingTsun ein Fuchs und ein Kranich. Entsprechend der Fußnote 10 in „Die Geschichte des Yip Man Stiles“ kann es aber auch eine Schlange und ein Kranich gewesen sein. Also bereits in der Legende sehen wir erstmals Ähnlichkeiten…
Wie wahrscheinlich jede ernstzunehmende Kampfkunst entspringt auch Taichi der kriegerischen Auseinandersetzung.
In den ersten Perioden war Taichi eine reine Kriegskunst (General Chen Wanting, Yang Luchan und Chen Fake waren durch den Ruf unbesiegbar zu sein bekannt). Erst durch das Herausnehmen vieler kämpferischer Aspekte und die Vereinfachung (moderner Yang Stil) sowie die Ausrichtung in Richtung „Gesundheitsstil“ kam es zu der Verbreitung in größerem Stil.
Auch WingTsun wurde in Geheimgesellschaften dazu entwickelt/genutzt um den Gegner so schnell als möglich auszuschalten – schnell, kompromisslos, schnörkellos: Funktion pur sozusagen.
Im Laufe der Jahrzehnte änderte sich natürlich das Anwendungsgebiet. Heute läuft kaum jemand mit Doppelmessern am Bein herum und muss fürchten als „Rebell“ aufzufliegen wenn er seinen Gegenüber nicht schnell genug ausschaltet.
Aber nicht nur das Umfeld, auch die Trainierenden änderten sich. Waren es anfangs noch „einfache Leute“ wie Köche und Kellner und nur in Ausnahmefällen Gelehrte, die WingTsun erlernten, so ist WingTsun heute Studienfach an der Universität in Plovdiv. Folglich ist also nicht mehr nur die Tatsache, dass WingTsun eine effektive Kampfkunst ist wichtig, sondern auch das Warum und die philosophischen Hintergründe spielen eine wichtige Rolle.
In den letzten Jahren wurde auch im WingTsun mehr und mehr der Gesundheitsaspekt in den Vordergrund gestellt und eine eigene Gesundheitsschiene entwickelt (obwohl speziell mit der Gesundheits-SiuNimTao gemäß Professor Chu bereits ein äußerst hoher Gesundheitswert in der Form integriert war). Diese „Erweiterung“ erfolgte jedoch nicht auf Kosten von WingTsun als Kampfkunst, sondern als parallele Schiene (was ich mir übrigens auch von Blitzdefence gewünscht hätte). Somit blieb im WingTsun immer die Ausrichtung hinsichtlich „Effektivität“ als oberste Prämisse erhalten.
Nicht so im Taichi, wo der Großteil der Ausübenden wahrscheinlich gerade einmal gehört hat, dass Taichi eine effektive Kampfkunst wäre, sich aber lediglich für den Gesundheitsaspekt interessieren.

Der Stand:
Was im WingTsun der IRAS, ist im Taichi die „stehende Säule“ – die Grundlage:
Hier direkt gegenübergestellt wie WingTsun (SiuNimTao Buch von GM Leung Ting – englische Version) und Taichi (Chen von Jan Silberstorff) wichtige Punkte für den korrekten Stand beschreiben:
WingTsun Mottos für den Stand:
Drücke den Kopf in den Himmel und stehe fest/stabil am Boden
Kopf hoch mit horizontalem Blick
Entspannte/aufnahmefähige Brust und erhabene/aufrechte Wirbelsäule Strecke die Hüfte und senke den Bauch
Sinkender Ellbogen und sinkende Schultern
Taichi – Mottos:
Am Scheitel wie aufgehangen Entspannen der Wirbelsäule Leerwerden im Brustbereich Entspannen von Schulter und Hüfte Entspannen von Ellbogen und Knien Entspannen von Händen und Füßen
Beide Male steht der Ausführende ca. schulterbreit, mit dem Gewicht gleichmäßig auf beiden Beinen verteilt. Der einzige Unterschied liegt in der Beinhaltung: parallel vs. nach innen rotiert. Auch die „gestreckte“ Hüfte im WingTsun ist so zu verstehen, dass weder Hüfte, noch Hintern aus der Schwerlinie hinausragen und eine aufrechte Haltung erreicht wird.
Der Stand dient nicht nur dazu, anatomisch funktionell zu stehen, sondern auch dazu, dass der Geist abschaltet und die Muskulatur sich entspannt (1. Kraftsatz: „Befreie dich von der eigenen Kraft“ – und zwar nicht nur muskulär).
Der große Unterschied liegt allerdings darin, dass im WingTsun der Stand oftmals nur als Einleitung zur Form gesehen wird, wohingegen er im Taichi eine tragende Rolle innerhalb des Systems hat.
Im WingTsun stehen wir „um zu stehen“, im Taichi dient die Stehende Säule als Ausgangspunkt für die Energiearbeit und die Seidenübungen.
Während in der Stehenden Säule das Zentrum mehr oder weniger durch Bewegung unverändert bleibt wird in den Seidenübungen die Struktur im Körper bewegt – ohne jedoch das Zentrum zu verlieren.
Ähnliches sollte auch in der ChumKiu vorhanden sein – ständiges Gleichgewicht in allen Bewegungen (nicht umsonst schreibt GM Kernspecht im „Zweikampf“, dass wir nicht 100 % unserer Energie in einen Schlag legen sollen, sondern immer noch genügend Reserven für unser Gleichgewicht behalten sollen).

ChiSao vs. Pushing Hands
Auch im Bereich des „Gefühlstrainings“ habe ich (zbsp. in „Das Wesen des Taiji-Quan“ von Stuart Olson) sehr viele ähnliche Prinzipien und Ansichten finden können.
Hier einige Überschneidungen der wesentlichen Energien des Taiji-Quan mit den Theorien im WingTsun anhand der in dem oben genannten Buch gemachten Unterteilung:

1) Die sinnlich wahrnehmbaren wesentlichen Taiji-Energien:
Zhan Nian Jin – anhaftende und klebende Energie Ting Jin – Energie des Hörens
Dong Jin – interpretierende Energie
Sich an die Energie des Angreifers anzuhängen und dann dranzubleiben (sofern wir nicht direkt durchkommen) – ist es nicht genau das, was wir auch mit der ersten Kontaktaufnahme im WingTsun erreichen wollen?
Ist nicht der Beginn des Lehrgedichtes des Tui Shou „Anhaften, Verbinden, Kleben, Folgen“ genau das, was uns die 4 Kampfprinzipien (Ist der Weg frei stoß vor, ist er nicht frei bleib kleben, drückt der Gegner zu stark gib nach/aber bleib kleben, zieht der Gegner zurück folge ihm) als grundlegende Idee im WingTsun sagen sollen?
Ting Jin & Dong Jin – fühlen wohin der Gegner drückt und dies entsprechend für uns nutzen ist die Grundlage jeglicher (passiven) WingTsun-Verformung.

2) Die wesentlichen Energien des Nicht-Widerstehens:
Zou Jin – aufnehmende Energie Jie Jin – entlehnende Energie
Zou Jin beschreibt die aufnehmende Energie die der Energie einer niedergedrückten Spiralfeder gleicht, welche die Energie speichert und dann wieder abgibt – ein auch im WingTsun äußert oft benutzter Vergleich (wird zBsp. in der 4. Sektion ChiSao beim QuanSao vs. Doppelfaust eingesetzt). Sehr schön finde ich auch den Vergleich mit einem Torwart, der den herankommenden Ball aufnimmt indem er zuerst dem Ball entgegengeht und ihn dann behutsam heranzieht/dämpft, um ihn besser zu kontrollieren (liegt vielleicht auch daran, dass ich über 10 Jahre im Tor stand…).
Jie Jin hingegen nimmt die gegnerische Kraft nicht auf, sondern unterstützt sie in ihrer ursprünglich vorgesehenen Richtung (bsp. 3. Sektion BiuTze ChiSao – „the old man is showing the way“).

3) Die wesentlichen Energien der praktischen Anwendung
Hua Jin – neutralisierende Energie Yin Jin – verleitende Energie
Na Jin – ergreifende Energie
Fa Jin – ausstoßende Energie
Die in diesem Kapitel beschriebene Vorgangsweise (ankommende Kraft des Gegners neutralisieren, um- oder ableiten und unter Kontrolle bringen sowie anschließend Energie gegen den Gegner ausstoßen) kann meiner Meinung sehr gut mit den „Wegen der Kraft“ (Nummer 2 bis 4) im WingTsun verglichen werden (befreie dich von der Kraft des Gegners, nutze sie gegen ihn und füge deine eigene Kraft hinzu).

Auch das auf Seite 101 des oben erwähnten Buches beschriebene „Zusammenfalten“ (greift der Gegner das Handgelenk nutze den Ellbogen, greift er den Ellbogen nutze die Schulter) entspricht 1:1 der Vorgangsweise im WingTsun (wenn nicht gerade andere Möglichkeiten zum Angreifen frei sind) – wenn ein Gelenk blockiert wurde kämpfe nicht darum, sondern nutze einfach das nächste.
Blitzdefence
Da Überschneidungen in diesem Bereich bereits ausführlich auf der EWTO-Homepage am 30/09/2004 im Zuge des Kommentars von Meister Jan Silberstorff zum Buch „Der letzte wird der erste sein“ nachzulesen sind hier nur eine kurze Zusammenfassung:
„Wenn der Feind sich nicht bewegt, bewege ich mich auch nicht. Sobald der Gegner sich bewegen will bewege ich mich zuerst/bin ich schon da“ – eine Theorie, zu welcher in Si- Gung ́s Buch die wissenschaftlichen Hintergründe näher erläutert wurden (Bereitschaftspotential/Bewußstsein/Handlung), indem er darlegte, dass bis zum Erleben eines Entschlusses bereits 0,3 Sekunden vergangen sind.
Die Energie-Idee der Peitsche (weiche, elastische Übertragung der Kraft) ist sowohl im WingTsun als auch im Taichi zentraler Bestandteil.
„Verfolge nicht die Arme, sondern den Körper“ vs. „Folge nicht den Bewegungen des Gegners, sondern seinem Zentrum“.
Ich ziehe hier gerne folgendes Beispiel für meine SchülerInnen heran:
Ein Stock, der einfach nur so herumliegt, wird mich nicht angreifen – von ihm geht also keine Gefahr aus. Ein Gegner, der mit einem Stock bewaffnet ist, benutzt den Stock, wird mich aber auch dann weiter angreifen, wenn ich den Stock kontrolliere. Wenn ich also die Situation unter Kontrolle bringen will, muss ich den Gegner kontrollieren, nicht nur seine Waffen.
Außenpositionen
Auch wenn wir im WingTsun sehr viel in Innenpositionen trainieren (ChiSao, LatSao), so ist es doch nicht unsere Wunsch, in dieser Innenposition zu sein. War es früher erst die Holzpuppenform und deren Anwendung, welche uns quasi „nach außen“ brachte, so ist es heute bereits ab der ersten Stunde in den Blitzdefence-Programmen unser Bestreben, außen zu sein. Auch wenn dies für Anfänger hinsichtlich Ausrichtung auf den Gegner/Zentrallinie nicht so leicht zu verstehen/bewältigen ist wie in der frontalen Position, so bringt es doch einen enormen Vorteil hinsichtlich Sicherheit für den Ernstfall.
Im Taichi ist es auch die Außenposition, welche in den Schiebenden Händen vorrangig angestrebt wird.

Natürlich gibt es wahrscheinlich genauso viele (wenn nicht mehr) Unterschiede zwischen WingTsun und Taichi.
Der größte Unterschied liegt meiner Meinung nach daran, dass WingTsun die Anwendung im Vordergrund hat, uns somit auch sein gesamtes Trainingskonzept darauf ausgelegt ist, so schnell als möglich effektive Mittel zur Selbstverteidigung zu haben.
Im Taichi hingegen scheint mir mehr der Weg, als das Ziel selbst (die Kampffähigkeit) im Vordergrund zu stehen. Insofern wird hier natürlich auch entsprechend unterrichtet.
Wie auch immer – mir persönlich hat die Beschäftigung mit Taichi geholfen, WingTsun besser zu verstehen. Vielleicht wäre ein ähnlicher Effekt aber auch mit vielen anderen Kampfkünsten einher gegangen, denn allein die Tatsache sich intensiv mit etwas zu beschäftigen und etwas von verschiedenen Standpunkten zu betrachten hilft diesbezüglich einfach weiter.
Folgende Punkte waren für mich persönlich besonders hilfreich:
War es für mich früher einfach nur „in den Stand gehen“, so ist es nun ein permanenter Versuch, optimal ausgerichtet zu sein. Allein die Konzentration auf die korrekte Ausrichtung macht vieles einfacher, da ich nicht mehr ständig mit dem Gleichgewicht kämpfen muss und mich nun wirklich auch auf meine Übungen bzw. meinen Trainingspartner konzentrieren kann.
Auch die nun vorhandene Verbindung von den Armen bis zu den Beinen macht vieles erst richtig möglich ohne übermäßig viel Muskelkraft einsetzen zu müssen. Funktionierende Muskelketten sind diesbezüglich einfach effizienter.
Das eingehende Befassen mit den „Taiji-Energien“ hat bei mir dazu geführt darüber nachzudenken, warum ich in den Sektionen was wann mache bzw. machen sollte. War es früher mehr ein „abspulen“ der verschiedenen Grundbewegungen, so versuche ich nun wirklich nur mehr zuzulassen, was mein Trainingspartner von mir will (egal ob er es nun will oder nicht). Dadurch entsteht viel öfter die Möglichkeit geöffnete Lücken für mich zu nutzen und „durchzufließen“, als wenn ich nur mache, was der Ablauf vorsieht. Denn wie ich auch meinen SchülerInnen immer wieder sage – den richtigen Druck für etwas zu geben ist weitaus schwieriger, als auf diesen zu reagieren.
Natürlich hat sicher auch das langjährige WingTsun Training einen Großteil dazu beigetragen, dass einiges nun einfach funktioniert (anderes leider noch nicht) – denn ohne das langwierige regelmäßige Training hilft auch das beste theoretische Hintergrundwissen nichts. Auch haben Holzpuppenform und BiuTze einige Antworten geliefert (und natürlich andere Fragen aufgeworfen) – denn obwohl schon vieles in Siu Nim Tao & Chum Kiu enthalten ist, so verschloss es sich doch vor mir (und vieles sehe ich sicher auch heute noch nicht).
Je länger ich WingTsun mache, desto besser wird es – und genau so sollte es sein in einer Kampfkunst, die einen ein Leben lang begleitet.
Vielen Dank an alle, die mir bisher auf meinem Weg auf die eine oder andere Art hilfreich zur Seite gestanden haben. Ich hoffe auch weiterhin viel von ihnen lernen zu können und meinen Beitrag dazu leisten zu können WingTsun weiter zu verbreiten.

Günther

Schriftliche Arbeit zum 4. TG Günther Röder – WingTsun vs. Taichi
Quellen:
Der letzte wird der Erste sein
Die Geschichte des Yip Man Stiles WingTsun Kuen
Roots & Branches of Wing Tsun
Vom Zweikampf
Siu-Nim-Tao of the WingTsun System Das Wesen des Taiji-Quan
Chen
www.ewto.de
das Internet 😉
Keith R. Kernspecht Keith R. Kernspecht Leung Ting
Prof. Leung Ting
Keith Ronald Kernspecht Prof. Leung Ting
Olson
Jan Silberstorff

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Schriftliche Arbeit für den 1. TG / Lehrergrad EWTO – 2003

Mein Weg zu WingTsun
Günther Plank, EWTO Nr. 95061-F

Eigentlich wollte ich als kleiner Bub immer Torwart werden.
So begann ich als 6jähriger beim hiesigen Fußballklub, dem SV Hall. Nach anfänglichen Schwierigkeiten – ich war alles andere als ein Naturtalent – wurde mein regelmäßiges Training belohnt und ich entwickelte mich mit der Zeit zur Nachwuchs-Hoffnung. Im Alter von 16 Jahren wurde ich nach und nach dazu eingesetzt, beim Torwarttraining den jüngeren Nachwuchs zu trainieren. Es machte mir Spaß, mein (begrenztes) Wissen weiterzugeben und zuzusehen, wie die Jungs besser wurden. Als ich mir beim Snowboarden jedoch das Schien- und Wadenbein brach, meine damalige Freundin kein Verständnis für mein Hobby hatte und vereinsinterne Schwierigkeiten auftraten, kam es, dass ich mit dem Fußballspielen aufhörte und mich auf die Suche nach einer anderen Sportart machte.
Über einen damaligen Schulkollegen kam ich zum Kickboxen. Über 10 Jahre intensives Fußballtraining bedingten Muskelverkürzungen ohne Ende, so dass ich bald feststellte, dass ich es im Kickboxen wahrscheinlich nie zu etwas bringen würde. Wie auch immer, es machte Spaß.
Durch meinen Cousin wurde ich auf WingTsun aufmerksam. Er konnte mich jedoch nicht davon überzeugen, dass WT wirklich so effizient ist wie er behauptete. Ich schoss ihn in der Distanz ab, er dominierte den Nahkampf. Heute glaube ich, dass dies daran lag, dass er einfach Hemmungen hatte mich „niederzuknüppeln“ und ihm mit seinem 2. SG keine andere Wahl geblieben wäre, wenn er wirklich gewinnen hätte wollen.
So blieb ich also vorerst beim Kickboxen. Jugendlicher Leichtsinn führte dazu, dass ich beim Training mein rechtes Bein beleidigte, indem ich es dazu zwang unaufgewärmt einen hohen Rundtritt zum Kopf auszuführen. Nach dieser schmerzlichen Erfahrung sah ich ein, dass Kickboxen auf Dauer nicht „mein Sport“ war.
Als ich dann meinen Präsenzdienst leistete, endete meine kurze und ziemlich erfolglose Kickbox-Karriere (3. bei Tiroler Meisterschaften ist an sich OK, nicht aber, wenn in meiner Gewichtsklasse nur 3 Teilnehmer gestartet sind).
Nach Ableisten meines Bundesheer – Präsenzdienstes wurde ich von meinem ehemaligen Fußballtrainer gefragt, ob es möglich wäre wieder für den SV Hall zu spielen, da ihr damaliger Torwart gerade zum Bundesheer musste und somit ausfiel. Ich konnte meinem Trainer diese Bitte nicht abschlagen, merkte aber schnell, dass ich nur nach Änderung diverser Regeln (zBsp. Verkleinerung der Tore auf einen gewissen Prozentsatz der Körpergröße des Torwartes oder ähnliches) wirklich gut werden konnte. Nach Ablauf der Frühjahrssaison hängte ich meine Fußballschuhe bzw. Handschuhe endgültig an den Nagel.
Schließlich gelang es meinem Cousin dann doch noch mich dazu zu bringen mir eine WingTsun Einführung anzuschauen.
„Greif einfach an!“ – dieser Satz, und die darauffolgende Unfähigkeit sich gegen die „Verteidigung“ zur Wehr zu setzen überzeugten mich und ich wurde am 03.08.1995 WingTsun Schüler in Innsbruck bei meinem Si-Suk, Sifu Gernot Redondo.

Es war eigentlich nie der Selbstverteidigungs-Aspekt, der mich am WingTsun interessierte, sondern mehr die Kampfkunst, die ich anstrebe.
Um so verwunderter war ich anfangs, dass von Weichheit, Nachgeben usw. nichts zu sehen bzw. fühlen war, sondern das Gegenteil der Fall war und Pak/Faust immer ziemlich hart ausgeführt wurde. Als ich einen Sihing nach dem Weichen/Sanften im WingTsun fragte, wurde ich (beispielhaft, wie mir allerdings erst später bewusst wurde) auf die „Sanften Mittel“ im 12er Programm verwiesen, die daraufhin mein Ziel wurden. Ich kämpfte mich zum Daan Chi durch (welches anfänglich mit zu viel Kraft trainiert wurde, wir waren ja schließlich „Männer und keine Weicheier“), in Erwartung, dass später das Weiche kommt.
Auf die Idee, Sifu Gernot zu diesem Thema zu befragen, kam ich natürlich nicht, wofür hat man denn schließlich Mitschüler?!

Als eines Tages ein ehemaliger Karateka, welcher nun „frischer“ WingTsun Schüler war, fragte, was ich denn gegen seine Hand-Angriffe machen würde, antwortete ich mit dem von der Einführung her bekannten „Greif einfach an“, was für meinen damaligen 3. Schülergrad eine eher kühne Aussage war.

Ich weiß nicht mehr, wer mehr überrascht davon war, dass meine Pak/Faust so gut funktionierte, er oder ich. Nicht, dass ich nicht schon vorher daran geglaubt hätte, dass WingTsun funktioniert, ich war darüber überrascht, dass es damals bei mir schon funktionierte.

Nach und nach kam auch das weiche Element hinzu und das Training machte immer mehr Spaß.
Im Herbst 1997 kam dann eine für mich bedeutende Wende in meiner bisherigen WingTsun Laufbahn: ich wurde Privatschüler von Sifu Gernot.

Damals ging ich gerade auf den 6. Schülergrad. Ich merkte bald, dass sich der Privatunterricht äußerst positiv auf meine Leistungen auswirkte. Mehr und mehr wurde mir klar, wohin WT gehen soll – vorgehen, kleben bleiben, nachgeben, folgen. Von da an bestand für mich kein Zweifel mehr, dass ich mit WingTsun das gefunden hatte, was ich mein weiteres Leben machen will!

Zum Privatunterricht kam hinzu, dass ich nicht mehr wie bisher nur 2 x pro Woche trainierte, sondern versuchte das gesamte Angebot (samt Lehrgängen und Kleingruppen) auszunutzen.

Bald schon wurde mir die Möglichkeit angeboten, als Assistent in die Unterrichtstätigkeit hineinzuschnuppern. Ab März 1998 wurde mir auch schon ab und zu der eine oder andere Unterricht ohne Unterstützung anvertraut.
Was mich anfangs am meisten überrascht hat, war die Tatsache, dass, wenn man Bewegungsabläufe bzw. Techniken SchülerInnen erklären muss, einem erst wirklich bewußt wird, wie sie funktionieren. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass ich vorher nur gemacht habe was mir gesagt wurde, ohne wirklich zu hinterfragen warum und weshalb dies gerade so und nicht anders gemacht werden soll. Dass durch die Unterrichtstätigkeit die Grundprogramme immer besser wurden ist sowieso klar.
Da ich nun fast sämtliche Lehrgänge, Trainingswochen usw. besuchte und
außerhalb der „normalen“ Trainingszeiten mit Mitschülern trainierte, kam ich gut voran.

Im Herbst 1998 habe ich meine Übungsleiterprüfung abgelegt, am 02/05/1999 Programm 10 abgeschlossen, so dass der Übungsleiter gültig wurde.

Im 11er Programm hatte ich den Vorteil, so nebenbei etwas Latosa Escrima (3. SG) betrieben zu haben („just for fun“ bzw. für den Wettkampf), was mir die Sache erleichterte.

Die Programme ab 9 haben mir am Anfang alles andere als Spaß gemacht, da es weder körperlich, noch mental meine Art ist draufzuhauen.

Ich hatte vor WingTsun trotz der Tatsache, dass ich seit der Volksschule immer einer der Kleinsten war, nur einmal eine körperliche Auseinandersetzung, welche ich nicht verbal lösen konnte, und hier half ein Hammer, welchen ich gegen das Schienbein meines (körperlich ziemlich überlegenen) Gegenüber schleuderte und ein anschließender Sprint nach Hause. Von daher war ich es auch nicht gewohnt, mich körperlich durchsetzen zu müssen.

Hier ist es natürlich wie bei allem anderen – wenn man etwas besser kann, macht es auch mehr Spaß. Sicherlich haben mir auch die Escrima Trainingskämpfe geholfen, „ich geh rein und komm als Sieger wieder heraus“ in meinem Kopf abzuspeichern.

Es ist immer noch so, dass ich (zu sehr?) darauf bedacht bin, dass meinem „Gegner“ nichts passiert, was mir für den (hoffentlich nie eintretenden) Ernstfall auf der Straße Nachteile verschafft, als Lehrer meiner Meinung nach von Vorteil ist.

Als ich bei den von mir so sehr ersehnten „Sanften Mitteln“ gelandet bin, war ich mir mittlerweile darüber im Klaren, dass diese nicht ganz so sanft sein würden (zumindest bei einem überlegenem Gegner), wie ich mir das vorgestellt habe. Dies macht nun aber nichts mehr aus, da ich die Weichheit im WingTsun ja mittlerweile kennengelernt habe und umzusetzen versuche, was leider noch nicht so gelingt wie ich es gerne hätte.

Am 30/01/00 habe ich den Laufzettel für 12 bei meinem Si-Fu (Oliver König) abgeschlossen. Ursprünglich wollte ich es auf 1 etwas langsamer angehen lassen, aber die Lust, Neues zu lernen war einfach größer! So wird eben Escrima auf der Strecke bleiben müssen. Dafür möchte ich, sobald es finanziell möglich ist, mit der WingTsun ChiKung Ausbildung anfangen, da ich im Gesundheitsbereich ein großes Potential sowohl für mich als auch für meine Gruppe sehe.

Im September 1998 hat sich meine Freundin, Nadja, eine WingTsun Einführung angesehen (fast freiwillig!). Es dauerte zwar noch ca. 1/2 Jahr, bis sie dann damit begonnen hat, aber mittlerweile gefällt es ihr auch gut.
Sie ist zwar nicht so WT-verrückt wie ich, unterstützt mich aber wo sie nur kann.

Seit Anfang 1999 habe ich in Hall in Tirol eine eigene WT Gruppe, was ohne ihre Unterstützung nicht in diesem Rahmen möglich wäre. Welche Freundin sieht es schon gerne, wenn man an 3 Abenden unterrichtet, den anderen 2 Abenden selbst trainiert und am Wochenende noch den einen oder anderen Lehrgang, Kleingruppe usw. besucht. Mittlerweile ist es so weit, dass Nadja mich auch schon beim Unterrichten unterstützt.

Die Erfahrung in der Innsbrucker Schule bei Sifu Gernot als Assistent mitzuwirken hat mir noch klarer gemacht, dass dies meine Berufung ist und ich meine eigene Gruppe aufbauen will (eigentlich soll es ja eine Akademie werden!).

Dadurch, dass ich in Innsbruck sowohl Unterricht nehmen als auch unterrichten konnte stellte sich natürlich die Frage, warum ich mir eine Änderung dieses Zustandes wünschen hätte wünschen sollen?

Einerseits war es die Möglichkeit „eigenen“ Schülern die Kampfkunst näher zu bringen bzw. diese selbstverteidigungsfähig zu machen, andererseits kann ich meinen (wenn auch kleinen) Teil dazu beitragen WingTsun noch mehr zu verbreiten. Weitere Gründe sind, dass ich mir (irgendwann dann einmal) meine eigene WT Ausbildung finanzieren kann, die Möglichkeit meine Berufung zum Beruf werden zu lassen und mit meiner Schule zu wachsen.

Der Aufbau der Gruppe lief (auch dank der Unterstützung meiner WT Familie) nicht schlecht, so dass ich mir bald das Ziel gesteckt hatte eigene Räumlichkeiten anzumieten. Am Anfang unterrichtete ich in Turnhallen, die mir von der Stadt zur Verfügung gestellt wurden.

Die Erfahrung in Innsbruck hat mich davon überzeugt, dass eigene Räume sein müssen, wenn man WT nicht nur so nebenher unterrichten will.
Also habe ich den Sprung gewagt und Räume angemietet. Nach einigem Adaptierungsaufwand war es Anfang Mai 2000 dann so weit: die eigenen Räume der WingTsun Schule Hall wurden bezogen. So sehr mich dies auch freute, so sehr freue ich mich auch schon auf den Tag, an dem wir in größere Räumlichkeiten übersiedeln „müssen“.

Mittlerweile habe ich auch die Schwazer Gruppe übernommen (10/2000), da der dortige Gruppenleiter seine Funktion aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr wahrnehmen konnte.
Die Entscheidung eine zusätzliche Gruppe zu übernehmen, obwohl die „eigene“ noch in den Kinderschuhen steckt, ist mir nicht leicht gefallen.

Da ich WingTsun mittel- bis langfristig als Profi betreiben will und dies ein weiterer Schritt in diese Richtung ist (da die Haller Gruppe aufgrund der regionalen Verhältnisse und Einwohnerzahlen für den Profi-Betrieb zu wenig ist) hätte eine weitere Gruppe über Kurz oder Lang sowieso kommen müssen. So habe ich mich eben dazu entschieden meine eigene Weiterbildung auf Lehrgänge, Kleingruppen und Privat-Unterricht zu kürzen und meine „Trainings-Zeit“ in Innsbruck gegen „Unterrichts-Zeit“ in Schwaz zu tauschen.

Lat-Sao „neu“ bzw. Blitzdefence:

Die Umstellung der Lat-Sao Programme war anfangs für mich eigenartig, speziell was den verbalen „Vor-Kampf“ angeht. Außerdem war es anfangs ungewohnt, nur mit meiner Schlaghand zu schlagen. Mittlerweile läuft dies aber schon recht gut (für die kurze Umstellungszeit). Speziell für die „älteren“ SchülerInnen war es nicht ganz so einfach umzustellen, denn wer gibt schon gerne etwas auf, was er schon „kann“.

Seit dem erstmaligen „ „hineinschnuppern“ am LG in Küsnacht (Vorkampf, Zeugenbeeinflussung usw.) im Spätsommer/Herbst 1999 bis zum Trainer 1 bzw. TG- Aufbaulehrgang am Schloss im Frühjahr 2000 wurden die neuen Programme mittlerweile schon einige Male „nachgebessert“, was ich als Bereicherung sehe. Vor allem bei den neuen SchülerInnen sehe ich auch, dass die Programme 1 und 2 recht schnell umgesetzt werden können und die SchülerInnen davon profitieren.

Einige kritische Bemerkungen:

Obwohl sie mir aufgrund meines Wissensstandes nicht zustehen hier einige kritische Bemerkungen, da ich glaube, dass es unter anderem Sinn der Technikerarbeiten ist, zu erfahren, was ich mir als WT«ler so denke:

Eine für mich eher verwunderliche Erfahrung war für mich mein erster Lehrgang, der nicht von Sifu Gernot bzw. von Si-Fu (Oliver) abgehalten wurde – ich glaube, es war in Bregenz. Dort traten Schüler zu Prüfungen an (und bestanden diese auch noch), die von ihrer Leistung her nicht dem entsprachen, was ich bis dahin gewohnt war. Nicht, dass meine Mitschüler(innen) und ich unser jeweiliges Programm besonders gut machen würden, aber wir haben zumindest das jeweilige Schülerprogramm komplett durchgemacht und entsprechend geübt. Da ich von der Einführung her immer vom „einheitlichen Standard innerhalb der EWTO“ gehört habe, hat es mich schon etwas schockiert, dass Leute zu Prüfungen antreten und noch nicht einmal den Inhalt des jeweiligen Programmes kennen (alte Schülerprogramme!).
Wenn ich mich einer Prüfung stelle, dann bereite ich mich darauf vor und hoffe, dass das, was ich mache, für die jeweilige Anforderung in Ordnung ist (abgesehen davon, dass mich Sifu Gernot sonst erst gar nicht zur Prüfung antreten lässt). Wenn dies nicht der Fall ist, dann will ich die Prüfung auch nicht bestehen (ich will mich ja nicht selbst betrügen).
Leider habe ich bisher schon einige Male die Erfahrung gemacht, dass Personen Prüfungen bestehen, obwohl dies eigentlich nicht der Fall sein sollte. Das ist umso schlimmer, da dies auch beim Übungsleiter- und Trainer 1 – LG der Fall war. Ich sehe hier das Problem, dass Leute unterrichten dürfen, obwohl sie eigentlich nicht in der Lage sind, dies ordentlich zu tun. Es ist mir klar, dass bei einer so großen Anzahl von Prüflingen nur sehr schwer der Überblick behalten werden kann, aber ich finde gerade bei den Ausbilder-Prüfungen sollte hier mehr Wert auf Qualität gelegt werden.

Über meine eigene Unfähigkeit, gewisse Techniken (Fook, Tan, Bong usw.) so umzusetzen, wie sie sein sollen, möchte ich mich hier gar nicht auslassen. Ich bin froh darüber, dass meine Lehrer sehr viel Wert auf technisch korrekte Ausführung legen und, wie das alte Sprichwort sagt „Übung macht den (WT) Meister“!

Der Weg ist noch weit, aber vorgegeben …. und ich bin davon überzeugt, dass ich ihn gehen werde!

In diesem Sinne freue ich mich schon auf deine Korrekturen,

dein To-Suen
Günther Plank

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Sifu bzw. wie ein Meister sein soll – 2004

Arbeit zum 3. Lehrergrad von Günther Plank
16.06.2004

Schriftliche Arbeit für den 3. Lehrergrad

„Wie muss ein Meister sein“

von Günther Plank EWTO Nr. 95061-F Bundesstr. 10b A 6114 Weer

Arbeit zum 3. Lehrergrad von Günther Plank

Inhaltsverzeichnis
I Definitionen von „Meistern“
1) Meister im Sport
2) Meister im Sinne von „Kung Fu Filmen“ 3) Meister im „weltlichen Sinne“

II Meister vs. Sifu?
1) Sifu – Anforderungen und Bedeutung
2) Was unterscheidet einen Sifu von einem Meister?

III Mein „Wunschmeister“
1) WingTsun Fähigkeiten
2) Menschliche Komponente

IV Quellenangaben/Zitate

I Definitionen von Meistern:
Da es für den Begriff „Meister“ viele verschiedene Bedeutungen gibt will ich zuerst einige dieser „Meisterbilder“ näher betrachten:
1) Meister im Sport
Hier gibt es viele „Meister“, die diesen Titel so lange haben, bis jemand anderer schneller, stärker, oder was auch immer war. Damit es aber pro Sportart nicht immer nur einen Meister gibt werden unterschiedliche Gewichtsklassen, Verbände, lokale Gegebenheiten (Welt-, Europa-, Asienmeister usw.) herangezogen, so dass es eine Flut an Meistern gibt, die aber alle ein „Ablaufdatum“ haben.
„Es gibt immer einen höheren Berg“ – somit auch immer jemanden, der die zur jeweiligen Meisterschaft nötigen Leistungen überbietet und somit neuer Meister ist.
Allein diese Tatsachen zeigen meiner Meinung nach einmal mehr, dass WingTsun kein Sport ist; wer es hier zu Meisterschaft gebracht hat, braucht keine Angst haben, dass durch einen weiteren Meister seine Meisterehre plötzlich nicht mehr gegeben ist.
(Obwohl es auch schon in der EWTO Meister gegeben hat, denen nach ihrem Austritt aus der EWTO ihre Fähigkeiten abgesprochen wurden; dies ist aber ein anderes Kapitel, auf das ich eigentlich nicht näher eingehen möchte.)
2) Meister im Sinne von „Kung Fu Filmen“:
Hier geistert in der Vorstellung vieler ein weißhaariger alter Mann mit langem Bart herum, der meist zurückgezogen/asketisch lebt und von der „wirklichen Welt“ nichts mehr wissen will. Sein Lebensinhalt besteht darin „edel“ im konfuzianistischen Sinne zu sein und eventuelle Schüler in die Geheimnisse seiner Kampfkunst einzuweihen (nachdem er sie entsprechenden Prüfungen unterzogen hat).
Natürlich hat dieser Meister schier unglaubliche Fähigkeiten, ist quasi unbesiegbar und zeichnet sich letztendlich meist auch dadurch aus, dass er am Ende des Filmes derjenige ist, der gewonnen hat.

3) Meister im „weltlichen Sinne“
Bäckermeister, Malermeister, Baumeister usw.
Diesen Meistern gemein ist, dass sie eine entsprechende Meisterprüfung ablegen müssen, um als Meister anerkannt zu werden.
Meister(prüfung) *1):
„Die Voraussetzungen für einen Meister ist die Meisterprüfung.
Diese berechtigt zur selbständigen Berufsausübung, zur Führung des Meistertitels des bereffenden Handwerks und zur Ausbildung von Lehrlingen. Voraussetzung:
Gesellenprüfung und mehrjährige Gesellenzeit
Befähigungsnachweis; Ablegung der Meisterprüfung vor dem Prüfungsausschuss der HWK, nach erfolgreichem Abschluss Aushändigung eines Meisterbriefes.“
Da ich mich beim „Meister“ im Sport bereits entschieden habe, dass dieser mit dem Meister wie er im WingTsun Sinne verstanden hat nicht wirklich viel gemein hat, schließe ich diesen für meine weitere Betrachtung aus.
Demzufolge entspricht ein Meister in der EWTO einer Mischung aus den Typen 2 und 3 – menschlich edel sowie von einer Kommission als würdig empfunden sein „Handwerk“ zu verstehen.
Hier stellt sich aber für mich nun die Frage, ob dies nicht auch Kriterien sind, die (zumindest großteils) auch bereits auf einen Sifu zutreffen.

II Meister vs. Sifu
1) Sifu – Anforderungen und Bedeutung
Wenn ich diese Definition des Meisters als Ausgangspunkt meiner Arbeit nehme, dann gehe ich mit meinem jetzigen Verständnis eher davon aus, dass Meisterschaft im herkömmlichen Sinne eher mit dem Sifu – Titel in der EWTO zu vergleichen ist als mit Meisterschaft im WingTsun.
Die Grundvoraussetzungen für den Sifu – Titel in Österreich, herausgegeben von Dai Sifu Oliver König:
„Richtlinien für den Erwerb des Sifu-Titels
1) Voraussetzungen
Bestandene 3. TG Prüfung und herausragende Fähigkeiten im WT (Wissen und Können sollen überdurchschnittlich sein).
Bestandene Trainer 4 Prüfung.
Mindestens einen eigenen Schüler, der den 1. TG erreicht hat.
Regelmäßige unterrichtende Tätigkeit in einer Schule.
Das Verhalten des Anwärters darf in den letzten zwei Jahren keinen Anlass zu disziplinarischen Maßnahmen oder Schlichtungsgesprächen geführt haben. Gerechnet wird bis zum Zeitpunkt des Antrages.

3) Anmerkungen
Der Sifu-Titel zeichnet seinen Träger als einen angesehenen und zu respektierenden Lehrer der EWTO aus. Ein Sifu muss sich seiner Vorbildfunktion und der Bedeutung des Titels bewusst sein, da er vermehrt im Zentrum des öffentlichen Interesses steht.
Anforderungen:
Der Anwärter muss sich seiner Verantwortung gegenüber seinen Schülern und der EWTO bewusst sein.
Hohe soziale Kompetenz
Ehrlichkeit
Tadelloses Verhalten in finanziellen Belangen
Ständige Weiterbildung in privater und WT-technischer Hinsicht
Selbstkritisch“
Diese Voraussetzungen decken meiner Meinung nach bereits viele Anforderungen eines „Meisters“ im herkömmlichen Sinne durchaus ab.
Da der Sifu-Titel aber bereits ab dem 3. TG verliehen werden kann (in Deutschland glaub ich sogar bereits noch früher) und ab diesem Zeitpunkt noch ein langer Weg bis zur Meisterschaft im WingTsun (5. PG) liegt, müssten die Anforderungen für eine Meisterschaft im WingTsun noch um einiges höher gesteckt sein.
Andernfalls wäre ein Meister des WingTsun ja nichts anderes, als ein zum Sifu ernannter TG, der zusätzlich zu seinen bis dahin erworbenen WT-Fähigkeiten die Holzpuppe und ChiGerk abgeschlossen hat.
Es kann allerdings durchaus sein, dass nur in Österreich bereits für den Sifu ähnliche Bestimmungen gelten wie jene, die an einen Meister gestellt werden.

Für die Bedeutung des Sifu-Titels in China habe ich folgendes im Internet gelesen, was sich auch mit dem deckt, was ich bisher immer zum Thema Sifu gehört habe:
„Also soweit ich weiß, kann Sifu einerseits Meister eines Handwerks bedeuten, z.B. ein Koch, Handwerker oder ähnliches, und andererseits bedeutet Sifu Meister einer Kampfkunst. Genauer betrachtet setzt sich das Wort aus shi (von laoshi -> Lehrer) und fu (von fuqin -> Vater) zusammen. Also so etwas wie ein Vater-Lehrer, bedeutet ein Lehrer in väterlicher Funktion. Früher wurden in China viele Kinder zu einem Sifu geschickt, der sie ein Handwerk lehrte, und darüber hinaus noch Sitte, Anstand, Verhaltensregeln, usw., er übernahm praktisch die Erziehung eines Kindes (da die Eltern dazu oft keine Zeit hatten). Als Gegenleistung half der Schüler seinem Sifu bei der Arbeit, machte das Essen, stand schon früh morgens auf um Wasser zum Waschen zu holen und bereitete alles vor,… Genau die selben Maßstäbe galten auch für die Ausbildung in einer Kampfkunst. Ein Lehrer, der auch die Erziehung eines Schülers übernimmt.“ *2)
Auch das unterstreicht meine Meinung, dass es sich bei einem EWTO Meister um eine „Mischung“ aus den Typen 2 und 3 handelt.

2) Was unterscheidet einen Sifu von einem Meister?
Ich glaube das Hauptmerkmal eines Meisters liegt in der Persönlichkeitsentwicklung. Bei einem Sifu kann es durchaus sein, dass dieser noch in jungen Jahren steht und noch nicht so gefestigt ist, was seine persönliche Entwicklung angeht.
„Mit 15 fasste ich den Entschluss zum Lernen Mit 30 hatte ich meinen festen Stand
Mit 40 hatte ich keine Zweifel mehr
Mit 50 kannte ich die Bestimmung des Himmels
Mit 60 wurde mein Ohr aufnahmefähig
Mit 70 folgte ich dem, was das Herr will, ohne das Maß zu überschreiten“ *3)

Allein anhand der zu durchlaufenden Programme (Schüler- sowie Lehrerprogramme) im Leung Ting WingTsun ist es eigentlich gar nicht möglich in frühen Jahren Meister (PG) zu werden. Und über die Jahre hinweg geht neben der technischen/kämpferischen Entwicklung quasi gleichzeitig die persönliche Entwicklung einher (sollte zumindest so sein).
Ein Techniker/Lehrer befasst sich neben der körperlich/technischen Komponente auch mit der geistigen (2. Ebene), so dass diese Entwicklung parallel mitläuft. Erst nach vielen Jahren des Trainings mit sich/an sich kommt man an den Punkt, der die Prüfung zum 5. PG – und somit die Meisterehren – darstellt.
Da ich mit meinem 2. TG die Dimensionen, die sich auf meinem weiteren Weg in Richtung Meisterschaft auftun werden so überhaupt nicht abschätzen kann, kann ich also nur von den Veränderungen berichten, die ich bei (meinen) Lehrern sehe, welche diese Entwicklung teilweise bereits hinter sich haben.

Wenn ich daran denke, wie zBsp. Dai Sifu Oliver König (mein Si-Fu) zu Beginn meiner WingTsun Laufbahn unterrichtet hat, und wie er es jetzt tut, dann kann ich nur sagen, da liegen Welten dazwischen.
Was jetzt tatsächlich den Ausschlag für diese Wandlung ausgelöst hat (sei es die kämpferische Überlegenheit oder die persönliche Weiterentwicklung) kann ich nicht sagen – nur dass diesbezüglich starke Veränderungen zu bemerken sind kann ich bestätigen.
Da ich zwar echt häufig zu Weiterbildungszwecken auf Lehrgängen/Kleingruppen usw. bin – diese aber meist innerhalb von Österreich – kann ich nicht viel über andere Meister sagen.
Dass mir der Unterrichtsstil des einen mehr und des anderen weniger liegt sehr wohl, nicht aber, dass ich einen Meister erlebt hätte, welcher mich nicht durch seine Persönlichkeit überzeugt hätte. Ich habe zwar schon einige Male gehört, dass es auch in der EWTO „schwarze Schafe“ gibt/gab, habe aber nie persönlich mit so jemanden näheren Kontakt gehabt, so dass ich darüber kein eigenes Urteil abgeben kann.
So wie der WingTsun Schüler anfänglich lernt, sich von seiner Kraft zu befreien, nicht gegen andere zu arbeiten sondern mit deren Input das Ziel zu erreichen, so ist es beim WingTsun Lehrer/Techniker so, dass diese Erfahrungen losgelöst von körperlichen Einflüssen umgesetzt werden (zumindest versuchsweise..).
Der jahrelange Umgang mit SchülerInnen sowie das ständige Feilen an sich selbst führen somit dazu, dass man sich dem nähert, was Konfuzius einen Edlen nennt.

III Mein „Wunschmeister“
Hier nun meine perönliche „Wunschliste“, wie ich mir einen Meister des WingTsun vorstelle:

1) WingTsunFähigkeiten:
Ein Meister muss in der Lage sein sämtliche „unteren Programme“
– sowohl von der technisch/statischen (Winkel müssen so und so sein damit das funktioniert), als auch von der prinzipienbasierten/dynamischen Sichtweise
(machen wir weil/wenn…) die Programme/Übungen Erklären können
– durch seine ChiSao Fähigkeiten als auch seine Antizipation muss er natürlich seinen Schülern auch insofern überlegen sein, dass er Angriffen nicht hilflos
ausgeliefert ist
– Schüler so unterrichten können, dass diese entsprechend ihren Fähigkeiten gefordert/gefördert werden
– schön wäre es auch, wenn das, was erklärt wird auch wirklich das ist, was gemacht wird (zBsp. nicht von Schülern im PoonSao/ChiSao einen IRAS mit 60°verlangen und selbst einfach nur so dastehen; dass die exakten Positionen sowie der Druck über „Gefühl“ mehr als kompensiert werden ist zwar schön in der Anwendung, nicht jedoch unbedingt hilfreich für den Schüler, wenn er den Meister durch Sehen „bestiehlt“)

1) MenschlicheKomponente
wie bereits beim Sifu-Titel erwähnt fallen hier unter anderem
– Hohe soziale Kompetenz
– Ehrlichkeit
– Tadelloses Verhalten
– Ständige Weiterbildung in privater und WT-technischer Hinsicht
– Selbstkritik
darunter

Der Meister soll sich einfach dadurch auszeichnen, dass er anderen (ständig) als Vorbild dienen kann und somit ein Edler im konfuzianischen Sinne ist.
Nicht dass ich mir vorstellen kann, dass es jemanden gibt, der immer sämtliche Anforderungen an einen Meister erfüllt – ich glaube das ist auch gar nicht möglich…
Aber ich glaube zumindest der Weg ist klar vorgegeben – und auch wenn es noch ein sehr weiter Weg ist, auch dieser wird mit einem Schritt nach dem anderen bewältigt.
Abschließend möchte ich allen Danke, die mich auf meinem Weg zur Meisterschaft im WingTsun begleiten und mir helfen dieses Ziel irgendwann zu erreichen.
16.06.2004

IV Quellenangaben/Zitate
1) Knaurs Lexikon A-Z 1985, Seite 568
2) www.wt4um.de–User:Black-n-Whiteam30.Juni2003
3) HeinerRoetz–„Konfuzius“,Beck ́scheReihe,2.Auflage(1998),Seite20