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Sifu bzw. wie ein Meister sein soll – 2004

Arbeit zum 3. Lehrergrad von Günther Plank
16.06.2004

Schriftliche Arbeit für den 3. Lehrergrad

„Wie muss ein Meister sein“

von Günther Plank EWTO Nr. 95061-F Bundesstr. 10b A 6114 Weer

Arbeit zum 3. Lehrergrad von Günther Plank

Inhaltsverzeichnis
I Definitionen von „Meistern“
1) Meister im Sport
2) Meister im Sinne von „Kung Fu Filmen“ 3) Meister im „weltlichen Sinne“

II Meister vs. Sifu?
1) Sifu – Anforderungen und Bedeutung
2) Was unterscheidet einen Sifu von einem Meister?

III Mein „Wunschmeister“
1) WingTsun Fähigkeiten
2) Menschliche Komponente

IV Quellenangaben/Zitate

I Definitionen von Meistern:
Da es für den Begriff „Meister“ viele verschiedene Bedeutungen gibt will ich zuerst einige dieser „Meisterbilder“ näher betrachten:
1) Meister im Sport
Hier gibt es viele „Meister“, die diesen Titel so lange haben, bis jemand anderer schneller, stärker, oder was auch immer war. Damit es aber pro Sportart nicht immer nur einen Meister gibt werden unterschiedliche Gewichtsklassen, Verbände, lokale Gegebenheiten (Welt-, Europa-, Asienmeister usw.) herangezogen, so dass es eine Flut an Meistern gibt, die aber alle ein „Ablaufdatum“ haben.
„Es gibt immer einen höheren Berg“ – somit auch immer jemanden, der die zur jeweiligen Meisterschaft nötigen Leistungen überbietet und somit neuer Meister ist.
Allein diese Tatsachen zeigen meiner Meinung nach einmal mehr, dass WingTsun kein Sport ist; wer es hier zu Meisterschaft gebracht hat, braucht keine Angst haben, dass durch einen weiteren Meister seine Meisterehre plötzlich nicht mehr gegeben ist.
(Obwohl es auch schon in der EWTO Meister gegeben hat, denen nach ihrem Austritt aus der EWTO ihre Fähigkeiten abgesprochen wurden; dies ist aber ein anderes Kapitel, auf das ich eigentlich nicht näher eingehen möchte.)
2) Meister im Sinne von „Kung Fu Filmen“:
Hier geistert in der Vorstellung vieler ein weißhaariger alter Mann mit langem Bart herum, der meist zurückgezogen/asketisch lebt und von der „wirklichen Welt“ nichts mehr wissen will. Sein Lebensinhalt besteht darin „edel“ im konfuzianistischen Sinne zu sein und eventuelle Schüler in die Geheimnisse seiner Kampfkunst einzuweihen (nachdem er sie entsprechenden Prüfungen unterzogen hat).
Natürlich hat dieser Meister schier unglaubliche Fähigkeiten, ist quasi unbesiegbar und zeichnet sich letztendlich meist auch dadurch aus, dass er am Ende des Filmes derjenige ist, der gewonnen hat.

3) Meister im „weltlichen Sinne“
Bäckermeister, Malermeister, Baumeister usw.
Diesen Meistern gemein ist, dass sie eine entsprechende Meisterprüfung ablegen müssen, um als Meister anerkannt zu werden.
Meister(prüfung) *1):
„Die Voraussetzungen für einen Meister ist die Meisterprüfung.
Diese berechtigt zur selbständigen Berufsausübung, zur Führung des Meistertitels des bereffenden Handwerks und zur Ausbildung von Lehrlingen. Voraussetzung:
Gesellenprüfung und mehrjährige Gesellenzeit
Befähigungsnachweis; Ablegung der Meisterprüfung vor dem Prüfungsausschuss der HWK, nach erfolgreichem Abschluss Aushändigung eines Meisterbriefes.“
Da ich mich beim „Meister“ im Sport bereits entschieden habe, dass dieser mit dem Meister wie er im WingTsun Sinne verstanden hat nicht wirklich viel gemein hat, schließe ich diesen für meine weitere Betrachtung aus.
Demzufolge entspricht ein Meister in der EWTO einer Mischung aus den Typen 2 und 3 – menschlich edel sowie von einer Kommission als würdig empfunden sein „Handwerk“ zu verstehen.
Hier stellt sich aber für mich nun die Frage, ob dies nicht auch Kriterien sind, die (zumindest großteils) auch bereits auf einen Sifu zutreffen.

II Meister vs. Sifu
1) Sifu – Anforderungen und Bedeutung
Wenn ich diese Definition des Meisters als Ausgangspunkt meiner Arbeit nehme, dann gehe ich mit meinem jetzigen Verständnis eher davon aus, dass Meisterschaft im herkömmlichen Sinne eher mit dem Sifu – Titel in der EWTO zu vergleichen ist als mit Meisterschaft im WingTsun.
Die Grundvoraussetzungen für den Sifu – Titel in Österreich, herausgegeben von Dai Sifu Oliver König:
„Richtlinien für den Erwerb des Sifu-Titels
1) Voraussetzungen
Bestandene 3. TG Prüfung und herausragende Fähigkeiten im WT (Wissen und Können sollen überdurchschnittlich sein).
Bestandene Trainer 4 Prüfung.
Mindestens einen eigenen Schüler, der den 1. TG erreicht hat.
Regelmäßige unterrichtende Tätigkeit in einer Schule.
Das Verhalten des Anwärters darf in den letzten zwei Jahren keinen Anlass zu disziplinarischen Maßnahmen oder Schlichtungsgesprächen geführt haben. Gerechnet wird bis zum Zeitpunkt des Antrages.

3) Anmerkungen
Der Sifu-Titel zeichnet seinen Träger als einen angesehenen und zu respektierenden Lehrer der EWTO aus. Ein Sifu muss sich seiner Vorbildfunktion und der Bedeutung des Titels bewusst sein, da er vermehrt im Zentrum des öffentlichen Interesses steht.
Anforderungen:
Der Anwärter muss sich seiner Verantwortung gegenüber seinen Schülern und der EWTO bewusst sein.
Hohe soziale Kompetenz
Ehrlichkeit
Tadelloses Verhalten in finanziellen Belangen
Ständige Weiterbildung in privater und WT-technischer Hinsicht
Selbstkritisch“
Diese Voraussetzungen decken meiner Meinung nach bereits viele Anforderungen eines „Meisters“ im herkömmlichen Sinne durchaus ab.
Da der Sifu-Titel aber bereits ab dem 3. TG verliehen werden kann (in Deutschland glaub ich sogar bereits noch früher) und ab diesem Zeitpunkt noch ein langer Weg bis zur Meisterschaft im WingTsun (5. PG) liegt, müssten die Anforderungen für eine Meisterschaft im WingTsun noch um einiges höher gesteckt sein.
Andernfalls wäre ein Meister des WingTsun ja nichts anderes, als ein zum Sifu ernannter TG, der zusätzlich zu seinen bis dahin erworbenen WT-Fähigkeiten die Holzpuppe und ChiGerk abgeschlossen hat.
Es kann allerdings durchaus sein, dass nur in Österreich bereits für den Sifu ähnliche Bestimmungen gelten wie jene, die an einen Meister gestellt werden.

Für die Bedeutung des Sifu-Titels in China habe ich folgendes im Internet gelesen, was sich auch mit dem deckt, was ich bisher immer zum Thema Sifu gehört habe:
„Also soweit ich weiß, kann Sifu einerseits Meister eines Handwerks bedeuten, z.B. ein Koch, Handwerker oder ähnliches, und andererseits bedeutet Sifu Meister einer Kampfkunst. Genauer betrachtet setzt sich das Wort aus shi (von laoshi -> Lehrer) und fu (von fuqin -> Vater) zusammen. Also so etwas wie ein Vater-Lehrer, bedeutet ein Lehrer in väterlicher Funktion. Früher wurden in China viele Kinder zu einem Sifu geschickt, der sie ein Handwerk lehrte, und darüber hinaus noch Sitte, Anstand, Verhaltensregeln, usw., er übernahm praktisch die Erziehung eines Kindes (da die Eltern dazu oft keine Zeit hatten). Als Gegenleistung half der Schüler seinem Sifu bei der Arbeit, machte das Essen, stand schon früh morgens auf um Wasser zum Waschen zu holen und bereitete alles vor,… Genau die selben Maßstäbe galten auch für die Ausbildung in einer Kampfkunst. Ein Lehrer, der auch die Erziehung eines Schülers übernimmt.“ *2)
Auch das unterstreicht meine Meinung, dass es sich bei einem EWTO Meister um eine „Mischung“ aus den Typen 2 und 3 handelt.

2) Was unterscheidet einen Sifu von einem Meister?
Ich glaube das Hauptmerkmal eines Meisters liegt in der Persönlichkeitsentwicklung. Bei einem Sifu kann es durchaus sein, dass dieser noch in jungen Jahren steht und noch nicht so gefestigt ist, was seine persönliche Entwicklung angeht.
„Mit 15 fasste ich den Entschluss zum Lernen Mit 30 hatte ich meinen festen Stand
Mit 40 hatte ich keine Zweifel mehr
Mit 50 kannte ich die Bestimmung des Himmels
Mit 60 wurde mein Ohr aufnahmefähig
Mit 70 folgte ich dem, was das Herr will, ohne das Maß zu überschreiten“ *3)

Allein anhand der zu durchlaufenden Programme (Schüler- sowie Lehrerprogramme) im Leung Ting WingTsun ist es eigentlich gar nicht möglich in frühen Jahren Meister (PG) zu werden. Und über die Jahre hinweg geht neben der technischen/kämpferischen Entwicklung quasi gleichzeitig die persönliche Entwicklung einher (sollte zumindest so sein).
Ein Techniker/Lehrer befasst sich neben der körperlich/technischen Komponente auch mit der geistigen (2. Ebene), so dass diese Entwicklung parallel mitläuft. Erst nach vielen Jahren des Trainings mit sich/an sich kommt man an den Punkt, der die Prüfung zum 5. PG – und somit die Meisterehren – darstellt.
Da ich mit meinem 2. TG die Dimensionen, die sich auf meinem weiteren Weg in Richtung Meisterschaft auftun werden so überhaupt nicht abschätzen kann, kann ich also nur von den Veränderungen berichten, die ich bei (meinen) Lehrern sehe, welche diese Entwicklung teilweise bereits hinter sich haben.

Wenn ich daran denke, wie zBsp. Dai Sifu Oliver König (mein Si-Fu) zu Beginn meiner WingTsun Laufbahn unterrichtet hat, und wie er es jetzt tut, dann kann ich nur sagen, da liegen Welten dazwischen.
Was jetzt tatsächlich den Ausschlag für diese Wandlung ausgelöst hat (sei es die kämpferische Überlegenheit oder die persönliche Weiterentwicklung) kann ich nicht sagen – nur dass diesbezüglich starke Veränderungen zu bemerken sind kann ich bestätigen.
Da ich zwar echt häufig zu Weiterbildungszwecken auf Lehrgängen/Kleingruppen usw. bin – diese aber meist innerhalb von Österreich – kann ich nicht viel über andere Meister sagen.
Dass mir der Unterrichtsstil des einen mehr und des anderen weniger liegt sehr wohl, nicht aber, dass ich einen Meister erlebt hätte, welcher mich nicht durch seine Persönlichkeit überzeugt hätte. Ich habe zwar schon einige Male gehört, dass es auch in der EWTO „schwarze Schafe“ gibt/gab, habe aber nie persönlich mit so jemanden näheren Kontakt gehabt, so dass ich darüber kein eigenes Urteil abgeben kann.
So wie der WingTsun Schüler anfänglich lernt, sich von seiner Kraft zu befreien, nicht gegen andere zu arbeiten sondern mit deren Input das Ziel zu erreichen, so ist es beim WingTsun Lehrer/Techniker so, dass diese Erfahrungen losgelöst von körperlichen Einflüssen umgesetzt werden (zumindest versuchsweise..).
Der jahrelange Umgang mit SchülerInnen sowie das ständige Feilen an sich selbst führen somit dazu, dass man sich dem nähert, was Konfuzius einen Edlen nennt.

III Mein „Wunschmeister“
Hier nun meine perönliche „Wunschliste“, wie ich mir einen Meister des WingTsun vorstelle:

1) WingTsunFähigkeiten:
Ein Meister muss in der Lage sein sämtliche „unteren Programme“
– sowohl von der technisch/statischen (Winkel müssen so und so sein damit das funktioniert), als auch von der prinzipienbasierten/dynamischen Sichtweise
(machen wir weil/wenn…) die Programme/Übungen Erklären können
– durch seine ChiSao Fähigkeiten als auch seine Antizipation muss er natürlich seinen Schülern auch insofern überlegen sein, dass er Angriffen nicht hilflos
ausgeliefert ist
– Schüler so unterrichten können, dass diese entsprechend ihren Fähigkeiten gefordert/gefördert werden
– schön wäre es auch, wenn das, was erklärt wird auch wirklich das ist, was gemacht wird (zBsp. nicht von Schülern im PoonSao/ChiSao einen IRAS mit 60°verlangen und selbst einfach nur so dastehen; dass die exakten Positionen sowie der Druck über „Gefühl“ mehr als kompensiert werden ist zwar schön in der Anwendung, nicht jedoch unbedingt hilfreich für den Schüler, wenn er den Meister durch Sehen „bestiehlt“)

1) MenschlicheKomponente
wie bereits beim Sifu-Titel erwähnt fallen hier unter anderem
– Hohe soziale Kompetenz
– Ehrlichkeit
– Tadelloses Verhalten
– Ständige Weiterbildung in privater und WT-technischer Hinsicht
– Selbstkritik
darunter

Der Meister soll sich einfach dadurch auszeichnen, dass er anderen (ständig) als Vorbild dienen kann und somit ein Edler im konfuzianischen Sinne ist.
Nicht dass ich mir vorstellen kann, dass es jemanden gibt, der immer sämtliche Anforderungen an einen Meister erfüllt – ich glaube das ist auch gar nicht möglich…
Aber ich glaube zumindest der Weg ist klar vorgegeben – und auch wenn es noch ein sehr weiter Weg ist, auch dieser wird mit einem Schritt nach dem anderen bewältigt.
Abschließend möchte ich allen Danke, die mich auf meinem Weg zur Meisterschaft im WingTsun begleiten und mir helfen dieses Ziel irgendwann zu erreichen.
16.06.2004

IV Quellenangaben/Zitate
1) Knaurs Lexikon A-Z 1985, Seite 568
2) www.wt4um.de–User:Black-n-Whiteam30.Juni2003
3) HeinerRoetz–„Konfuzius“,Beck ́scheReihe,2.Auflage(1998),Seite20