Abstrakt:
Im folgenden Aufsatz wird auf die grundlegenden Aspkete einer daoistischen Geisteshaltung eingegangen. Es wird die unterschiedliche systematische Herangehensweise an diverse Fragestellungen in der westlichen und östlichen Hemnisphäre erörtert. Dieser Unterschied mag erklären, warum bei den im Westen verbreiteten Religionen eher der Glaube und bei den östlichen Philosophien eher die Handlung im Vordergrund steht. Es wird gezeigt, dass gerade in unserer westlichen Kultur Geisteshaltungen wie das Nicht-Anhaften und die Kultivierung der Achtsamkeit verloren gegangen sind und welche Kraft in diesen auf den ersten Blick nutzlosen und einfachen Prinzipien stecken. Weiters zeigt dieser Artikel, dass es wenig bis keine
Rolle spielt, mit welchen Tätigkeiten wir versuchen unseren Geist zu entwickeln. Es wird klar, dass es keine geheimen Übungen gibt, die uns schnell zum Erfolg führen und uns Anderen überlegen machen. Der Leser wird erkennen, dass das größte
Geheimnis in der Einfachheit einer universellen Wahrheit bzw. wenig universell gültigen Grundsätzen liegt. Letztendlich sollte auch der philosophisch nicht interessierte Leser nach ernsthaftem Durcharbeiten dieses Artikels in der Lage zu sein, effizienter Fliegen zu fangen.
Einleitung
Die gewählte Überschrift mag den Leser
irritieren und im ersten Ansatz merkwürdig
anmuten. Wer das Dao kennt, sofern man es
kennen kann, oder wer sich auch nur
ansatzweise damit beschäftigt oder davon
gehört hat, dem drängt sich die Frage auf, was
das Dao und seine philosophische Lehre mit
der Kunst des Kämpfens zu tun haben wollen.
Und auch, wenn sich dies dem ein oder
anderen asiaphilen Leser mit Kampfkunst-
wurzeln eröffnete, so bleibt immer noch die
Frage nach der Motivation und dem Connex
zum Fangen der Calliphoridae, oder auch
gemeinhin Schmeißfliege genannt, offen und
unbeantwortet. In diesem Assay soll dem
Leser dieser Zusammenhang näher gebracht,
wenn auch aufgrund der Natur des Dao
niemals gänzlich erklärt werden. Sowie es
nicht gelingen kann, das Unaussprechliche zu
diskutieren, so ist der Anspruch dieses
Aufsatzes lediglich, eine vage Idee der
Wirkungsmechanismen des Dao in den im
Titel erwähnten Bereichen zu geben und mit
viel Glück einen Zusammenhang über deren
unzertrennliche Verbindung herzustellen.
Das Wesen des Dao
Der Daoismus oder auch Taoismus ist eine
chinesische Philospophielehre, die mit “der
Lehre des Weges” übersetzt werden kann. Der
Weg wird dabei durch das Handeln des
Individuums im JETZT bestimmt und ist somit
maßgebend für den Verlauf der Dinge. Der
Daoismus kann als Chinas eigene und
authentische Religion angesehen werden,
dessen historisch gesicherte Ursprünge im
4.Jahrhundert vor Christus, mit dem Werk des
Tao-Te-King des LaoTse dokumentiert sind.
In China beeinflusste der Daoismus die Kultur in
den Bereichen der Politik, Wirtschaft,
Philosophie, Literatur, Kunst, Musik,
Ernährungskunde, Medizin, Chemie,
Kampfkunst und Geographie [1] [4]. Die Basis
für diese Philosophie bildet das Dao, welches
in vielen Schriften als eine Art höherer Energie
beschrieben wird. Der Begriff Energie ist
hierbei nicht zu verwechseln mit dem in der
westlichen Wissenschaft oder Technik
gebrauchten Sinne; wie etwa dem Strom in der
Elektrizitätslehre oder der Wärme in der
Thermodynamik. Auch wenn diese technisch-
wissenschaftlichen Elemente Teile des Tao
beschreiben mögen, oder sogar Teile davon
sind, so ist es doch kein umfassendes Bild
welches sich daraus ableitet. Das Dao wird
eher als eine intelligente, alles umfassende,
nichts ausschließende, alles durchströmende
und alles verbindende Energie gesehen, die
jedes belebte und unbelebte Element dieses
und aller anderen Welten miteinander
verbindet. Wird vom Dao gesprochen, so wird
es als nicht wertend und nicht ausgrenzend
beschrieben, was eine Differenzierung zur
Götterwelt darstellt, die unabhängig von der
Glaubensrichtung in mehr oder weniger allen
Weltreligionen als höhere und durchaus
wertende Instanz verstanden wird. Denken wir
nur an Himmel und Hölle oder dem
Ansammeln von den Gläubigen (=die Guten)
und den Ungläubigen (= die Bösen), von
gutem und schlechtem Karma, etc. .
Im ausgehenden 17.Jahrhundert wurde in
verschiedensten wissenschaftlichen Diskursen
in Europa der Begriff des Äthers eingeführt, um
unterschiedliche physikalische Fragestellungen
in Bereichen der Optik, Elektrodynamik,
Gravitation, etc. zu beschreiben.
Die Wirkung der dort auftretenen Phänomene
und deren Wechselwirkung konnte man sich
bis dato nicht erklären.
Bild 1: Darstellung von einzelnen elektischen Teilchen,
DAS BILD KONNTE ICH LEIDER NICHT EINFÜGEN
die durch den Äther (Molekularwirbel) verbunden sind.
Eine Handskizze von James Clerk Maxwell.
Dies ist insofern erstaunlich, als dass diese
wissenschaftliche Vorstellung des damals
beschriebenen Äthers von der philosophischen
Auffassung des östlichen Dao nicht so weit
entfernt war. Der Ätherbegriff war aber zu eng
definiert und nur auf die Naturwissenschaft
bezogen, in welcher er über die nächsten
Jahrhunderte von einigen Wissenschaftlern
durch theoretische Herleitungen widerlegt
wurde und so aus den Lehrbüchern
verschwand. Dennoch ist der Begriff nicht
gänzlich ausgestorben und wurde z.B. 2006 in
der Nobelpreisrede von George F. Smoot über
die kosmische Mikrowellenstrahlung als
mögliches Bezugssystem erwähnt [2].
Viele ursprünglich östliche Schriften befassen
sich mit der Beschreibung, dem Ursprung und
dem Wirken des Dao. Gerade bei Versuchen
das Dao zu beschreiben, scheitern viele sehr
bemühte Kenner der Materie und lassen den
Leser mit einem faden Geschmack der
Orientierungslosigkeit zurück.
Um nicht denselben Fehler zu begehen –
nämlich über etwas zu schreiben, das nicht
beschrieben werden kann – soll an dieser
Stelle der chinesische Weise LaoTse selbst
zitiert werden, der das Wesen des Dao in
einem seiner Aphorismen wie folgt beschreibt:
„Schau hin, du wirst es nicht sehen –
man nennt es: unsichtbar.
Horche, du wirst es nicht hören –
man nennt es: unhörbar.
Greif danach, du wirst es nicht fassen –
man nennt es: unfassbar.
Es strahlt nicht von oben,
und doch ist es von unten her nicht dunkel.
Wie ein unendlicher Faden,
und doch nicht zu beschreiben.
Es kehrt zurück ins Nichts.
Man nennt es: die Gestalt des Gestaltlosen,
das Bild des Wesenlosen;
unvorstellbar und jenseits aller Phantasie.
Du stehst davor, doch du siehst sein Gesicht
nicht, du folgst ihm, doch du siehst seinen
Rücken nicht [3].“
Mit dem vollen Bewußtsein, dass auch in
diesem Artikel nicht viel mehr zur literarischen
Erfassung des Dao beigetragen werden kann,
als in der im deutschen Raum schon relativ
mannigfaltigen Übersetzungen östlicher
Schriften unterschiedlicher Qualität, wird auf
ausschweifende theoretische Abhandlung
dieses Themas verzichtet. Vielmehr sollen im
Folgenden die praktischen Erfahrungen und
daraus hergeleiteten Zusammenhänge
diskutiert werden, die jeder, der sich ernsthaft
mit den Kampfkünsten und deren
philosophischen Aspekte beschäftigt, in der
Übung selbst feststellen und somit diese
Wahrheit für sich ergründen kann. Ähnlich wie
Antiope, die Königstochter aus der alten
griechischen Mythologie, die, aus einer
perfekten Welt stammend, und abgeschirmt
von allem Schweren, das Orakel fragte, was
Leid sei? Das Orakel antwortete darauf: “Leid
lässt sich nicht beschreiben”. Antiope fragte,
wie sie denn dann Leid erkennen könne?
“Indem du Leid erfährst” antwortete das Orakel
[6].
So verhält es sich auch mit dem Dao. Auch
wenn es nicht beschrieben werden kann, so
kann seine Wirkung von jedem individuell
erlebt werden. Im Unterschied zu westlichen
Religionen, die versuchen alles mögliche zu
erklären, dabei scheitern und sich dann darauf
berufen, man müsse eben glauben, begnügen
sich speziell die chinesische Philosophien des
Daoismus aber auch des Konfuzionismus
damit, nach gewissen moralischen
Grundsätzen zu leben und Achtsamkeit, einen
Wachen Geist und Liebe zu kultivieren. Sie
vertrauen darauf, dass diese Lebensweise
positive Auswirkungen auf ihr Leben und ihr
Umfeld hat. Welche Mechanismen im
Hintergrund wirken kümmert den
Praktizierenden dabei wenig.
Prinzipiell gibt es zwei grundsätzlich
unterschiedliche Möglichkeiten, wie es gelingt,
sich einer tieferliegenden Wahrheit zu nähern.
Die Erste ist es, von einer umfassenden
theoretische Betrachtung des Themas
auszugehen, welche auf der Erhebung aller
vorhandenen Daten beruht und im Folgenden
durch Kombinationen und Ableitungen dieser,
zu einer Hypothese verarbeitet werden kann.
So wird versucht, am Reißbrett ein Bild der
Realität zu zeichnen. Ist die Hypothese
schlüssig und haltbar, so wird versucht diese
im Experiment zu beweisen. Diese Methodik
findet hauptsächlich in den Natur- und
Wirtschaftswissenschaft sowie generell im
Denken der westlichen Welt ihre Anwendung.
Es ist kein wissenschaftlicher Assay denkbar,
in dem eine entsprechende Theorie nicht
umfassend und schlüssig dargestellt werden
kann; unabhängig davon, was das Ergebnis
der zugrundegelegten Experimente sein mag.
Eine andere Methode ist es, sich über die in
einer gewissen Situation oder durch gewisse
Praktiken gewonnene Erfahrungen einem
Thema zu nähern und über die Reflexion
dieser Erfahrungen, wenn nötig, eine
theoretische Ableitung zu erstellen. Bei diesem
Ansatz steht das persönliche Bewusstsein und
die gewonnene Einsicht im Vordergrund. Eine
theoretische Schlussfolgerung basierend auf
diesen Einsichten kann, muss aber nicht das
Resultat einer solchen Herangehensweise
sein. Dient diese meist ohnehin nur dazu, die
gewonnene Erkenntnis mit anderen zu Teilen
bzw. Ihnen die Richtung des Weges
aufzuzeigen und Wegweiser auf diesem
aufzustellen. Dabei muss dem Schüler bzw.
Unterwiesenem immer bewusst sein, dass im
Unterricht immer nur Wissen vermittelt wird;
Weisheit kann nur durch persönlich Erfahrung
erlangt werden. Wie auch schon Siddhartha
Gautama in der Erzählung von Herman Hesse
sagte:
“Wissen kann man mitteilen, Weisheit aber
nicht” [5]
Wenn in diesem Aufsatz vom Dao, dessen
Wirkung und Zusammenhängen mit weltlichen
Dingen wie z.B. der Kampfkunst oder
trivialerem, wie dem Fliegen fangen die Rede
ist, dann basieren die getätigten Aussagen und
hergeleiteten Theorien vorwiegend auf einem
erfahrungsbaiserten Ansatz, also dem zweiten
der oben beschriebene Wege.
Die Rolle des Loslassens
Wer kennt sie nicht, die kleineren und
größeren Herausforderungen des Lebens
sowie die tagtäglichen Alltagssituationen, in
denen wir versuchen Dinge zu erreichen, oder
herbeizuführen, bei denen wir glauben selbst
den größten Beitrag zum Erfolg beitragen zu
können. Unsere westliche Gesellschaft ist
gepägt vom Individualismus der immer mehr in
einen ungesunden Narzissmus umschlägt. Auf
dessen Basis denken viele von uns, dass sich
das Leben und die Umwelt um sie selbst als
Zentrum dieses Mikrokosmus dreht.
Eine grundlegende Fehleinschätzung die auf
diesem Weltbild basiert ist, alles selbst in der
Hand zu haben. Grundsätzlich ist das nicht
falsch, denn jeder Mensch kann an seinem
Geist und dessen Funktionen arbeiten und sie
zum Guten entwickeln. Die Art jedoch, wie wir
heute gemeinhin versuchen unsere
vermeintlichen Ziele zu erreichen ist definitiv
mangelhaft. Werden Ziele mit Hartnäckigkeit,
Verbissenheit, falschem Ehrgeiz, Profilierungs-
sucht, etc. verfolgt, so rückt das Ziel oft in noch
weitere Ferne. Der Daoismus, wie auch andere
östliche Philosophien lehren uns, loszulassen,
nicht anzuhaften, die Dinge mit Gleichmut und
Liebe zu betrachten und vor allem die
gegenwärtige Situation anzunehmen. Wenn es
gelingt, den Blick auf das eigene Leben und
sein Umfeld mehr mit diesen Attributen zu
versehen, dann werden uns viele unserer Ziele
wie von alleine und ohne Zwang auf halbem
Weg entgegenkommen und das bei weit
weniger Kraftanstrengung.
Auch die westliche Welt versteht und
erschließt dieses grundlegend Daoistische
Prinzip immer mehr. So erschienen in den
letzten Monaten und Jahren immer häufiger
Bücher zu diesem Thema, in denen
Psychologen, Mediziner, aber auch
Wirtschaftwissenschafter, Manager und
Börsianer aus dem hektischen Treiben ihres
Arbeitsalltages bzw. ihrer Karriere aussteigen
und die gewonnenen Erkenntnisse in Büchern,
Vorträgen oder Assays formulieren und
weitergeben. Ein gutes Beispiel hierfür ist
Rene Egli, ein schweizer Ökonom, der lange
Jahre in der Wirtschaft arbeitete, bis er aus
diesem kapitalistischen Trott ausstieg und sein
erstes Buch über das Loslassen und das
Entwickeln einer gesunden Geisteshaltung
schrieb. Seither erschienen weitere Bücher
und Seminare zu Themen wie Loslassen,
Achtsamkeit, etc. von ihm (z.B. “Das LOL²A
Prinzip, ISBN 978-3-9520606-0-5”). Er schreibt
dabei, bewusst oder nicht, über zentrale
Aspekte der Daoistischen Philosophie und der
Erfolg seiner Arbeit zeigt, wie sehr die
Menschen in unserer westlichen Kultur diese
Weisheit benötigen.
Die Rolle der Achtsamkeit
Wenn wir also etwas über das Dao und sein
Wirken erfahren wollen, so ist es nötig sich auf
die Erfahrungsebene zu begeben. Dort
angekommen wird schnell klar, dass es nicht
genügt eine bestimmte Tätigkeit auszuüben.
Es ist auch nicht entscheidend, welche
erkenntnisbringenden Übungen wir ausführen,
nicht ob wir ausgefeilte Yoga Techniken
nachahmen, nicht ob wir Verse rezitieren, oder
den Lotus Sitz beim Meditieren beherrschen.
Bei jeder Tätigkeit spielt vor allem die
Achtsamkeit, mit der wir sie ausführen, die
entscheidende Rolle.
Wiederum gilt es, die hier gemeinte
Achtsamkeit von anderen Begriffen
abzugrenzen. Mit Achtsamkeit ist nicht
Konzentration oder Denken gemeint. Im
Gegenteil, dies wäre unter Umständen sogar
hinderlich um das Dao und sein Wirken zu
erfahren.
“Der Anfang des Denkens ist der Tod der
Sinne”, schrieb Dan Millman in seinem Roman
“Der Pfad des friedvollen Kriegers” [7].
Beobachten wir Kinder, so haben sie diese
Achtsamkeit und auch das zuvor beschriebene
Loslassen (nicht Anhaften) noch innewohnend;
zumindest so lange, bis wir sie durch unserer
Erziehung konditioniert haben. Im Alltag der
modernen westlichen Welt ist diese
Achtsamkeit bei den meisten Menschen
verloren gegangen und kommt nur mit viel
Glück in wenigen wachen Momenten zum
Vorschein. Kinder erfassen ihre Umgebung
ohne Vorurteile, gänzlich ungeprägt. Dies
macht sie so besonders, da sie somit eine
direkte und unmittelbare Wahrnehmung
besitzen. Mit zunehmendem Alter setzt die
Erziehung durch Elternhaus, Schule,
Umgebung ein, was zu einer Konditionierung
der ursprünglichen Instinkte und angeborenen,
vorurteilsfreien Wahrnehmung führt. Die
Umgebung wird nicht mehr unmittelbar
wahrgenommen, sondern im Laufe der Zeit nur
mehr der Gedanke davon. Der aufmerksame,
wache und bewusste Geist wird durch Denken
ersetzt. Die Achtsamkeit weicht der
Aufmerksamkeit. Die Menschen geben Dingen,
Situationen oder Personen Namen und
glauben dann, sie zu kennen. Da dieses
Schubladisieren aber nur das gedankliche
Konstrukt des unmittelbaren Erlebnisses ist,
entfernen wir uns mit dem gedanklichen
Erfassen von Dingen und Situationen immer
mehr von der Wirklichkeit. In der biblischen
Geschichte könnte man diese Transformation,
die jeder Mensch im Laufe seines
Erwachsenwerdens bzw. seiner Erziehung durchmacht,
als Rauswurf aus dem Paradies bezeichnen.
Auch in der Bibel sind einige Aussprüche und
Verse zitiert, in denen das kindliche Wesen
gepriesen wird, so Jesus von Nazareth bei
einer Begegnung mit seinen Jüngern:
“Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie
ein Kind, der wird nicht hineinkommen.”[8]
Oder an einer anderen Stelle, in der ihn die
Jünger fragten:
“Wer ist der Größte im Himmelreich?” Da rief
er ein Kind herbei, stellte es in die Mitte und
sagte: ”Wahrlich ich sage euch: Wenn ihr nicht
umkehrt und werdet wie die Kinder, dann könnt
ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer so
klein sein kann wie dieses Kind – der ist im
Himmelreich der Größte.”[8]
Das Problem dabei ist, dass es durch das
Denken nur schwer oder vielleicht auch
unmöglich ist im JETZT zu sein. Dinge werden
nur noch durch einen Schleier der
Assoziationen wahrgenommen, welcher
Aktuelles auf Basis von Erlebtem,
Vergangenem interpretiert. Dabei wird der
aktuelle Moment verpasst. Auch wenn Pläne
für die Zukunft geschmiedet werden, so
basieren die Gedanken hierfür auf den
Erfahrungen aus der Vergangenheit; nach dem
Motto: “Mein ehemaliger Partner hat mich
betrogen, deshalb vertraue ich auch meinem
derzeitigen und dem eventuell noch
kommenden Partner nicht mehr”. Da aber die
Vergangenheit, außer über das Denken,
keinen Einfluss auf die Gegenwart hat, ist dies
ein in sich zusammenbrechender Kreislauf
einer Scheinwelt der den Menschen an der
wahren Teilnahme am Leben hindert. Erst
wenn klar wird, in wie vielen Bereichen diese
Konditionierung tagtäglich als Routine im
Hintergrund unseres Handelns abläuft und
welch verheerende Wirkung es auf unsere
Gegenwart hat, kann damit angefangen
werden diese Prägung langsam abzubauen
und zur unmittelbaren Wahrnehmung der
Realität durch das Verweilen im JETZT
durchzubrechen.
Nicht umsonst ist das Ziel der buddhistischen
Tradition, durch Bodhi (dem “Erwachen”) oder
auch besser bekannt durch Erleuchtung eine
fundamentale und befreiende Einsicht in die
Grundtatsachen allen Lebens zu erhalten. Dies
soll im Buddhismus vor allem durch Meditation
erreicht werden. Dabei wird versucht, den
Affengeist (also das unkontrollierte Denken)
einzubremsen bzw. überhaupt auszuschalten
und im Hier und Jetzt zu verweilen, um die
Welt so wahrzunehmen wie sie tatsächlich ist.
Hermann Hesse beschreibt in seiner
wundervollen Erzählung “Siddhartha”, einen
Auszug aus dem Lebensweg des Buddha,
Siddhartah Gautama. An einer Stelle sagt
Siddhartha:
“Zu viel Wissen hatte ihn gehindert, zu viel
heilige Verse. Zu viel Opferregeln, zu viel
Kasteiung, zu viel Tun und Streben!” [5]
Er spielt damit auf die Krampfhaften
Bemühunge eines Praktizierenden an, dem es
nicht und nicht gelingen will, Erleuchtung zu
Erlangen. Denken und Ehrgeiz (also nicht-
loslassen) hindern ihn daran.
Auch im Daoismus wird das unbewusste
Denken und die Konditionierung als Problem
für die Entfaltung des Dao gesehen. Nur wenn
es gelingt im Hier und Jetzt zu sein, kann das
Dao seine Wirkung entfalten und das Leben
lenken. LaoTse meinte hierzu:
“Der Weg ist ewig namenlos.
Obwohl sein Wesen einfach wie ein
unbehauener Holzklotz ist, wagt niemand in
der Welt über ihn zu herrschen.
Wenn es Königen und Fürsten dieser Welt
gelingt, die ursprüngliche Einfachheit des
unbehauenen Holzklotzes zu bewahren,
werden die zehntausend Dinge von selbst
gehorchen;
Himmel und Erde werden sich vereinigen, ein
ganz weicher Regen wird niedergehen, und die
Menschen brauchen keine Anweisungen mehr:
Alles ist von sich aus in Ordnung.
Erst wenn er behauen wird, tauchen die
Namen auf;
Sobald es Namen gibt, sollte man erkennen,
dass es an der Zeit ist innezuhalten.
Wer weiß, wann er innehalten muss, kann die
Gefahr vermeiden“” [3]
Die grundlegenden Konzepte des Daoismus
basieren darauf, echt und dauernd im Geiste in
der Gegenwart zu verweilen, die
Geschehnisse aufmerksam zu beobachten und
wahrzunehmen, ohne sie zu analysieren.
Dadurch wird die Kunst des WuWei kultiviert;
die Kunst des Handelns durch Nicht-Handeln.
WuWei bedeutet in der Praxis, den
Geschehnissen seinen Lauf zu lassen, ohne
dabei Widerstand zu leisten; sie nur ruhig und
mit Achtsamkeit zu betrachten. Dazu ist es
nötig, die inneren Bindungen aufzugeben; alle
Abhängigkeiten von innerer oder äußerer
Authorität, von Denkschablonen oder
religiösen Bindungen oder Ähnlichem
aufzugeben. Dies bedeutet nicht auszusteigen
und alles hinzuwerfen. Es geht allein darum,
seinen Geist von den vielen Bindungen zu
befreien. Nicht umsonst sagte der Zen Meister
zu seinem Schüler: “Wenn du Buddha triffst,
töte ihn“”. Dies ist die Aufforderung, sich auch
von den eigenen (spirituellen) Lehrern
loszusagen, von jeglicher Art von Autorität, da
nur so die eigene Erkenntnis reifen kann.
Die Rolle der Kampfkunst
Zuerst mag es zu unterscheiden gelten ob
von Kampfkunst oder Kampfsport die Rede ist.
Obwohl es, wie schnell klar werden wird
vollkommen egal ist, soll fortan der Begriff
“Kampfkunst” als umfassenderer und
übergeordneter Begriff verwendet werden. Da
die Energie des Dao per Definition überall und
in Allem wirkt, könnte auch ein
Zusammenhang mit dem Kampfsport
hergestellt werden. Dies wäre aber vermutlich
noch abenteuerlicher als der Versuch, die
Verbindung zur Kampfkunst mit ihren vielen
Facetten herzustellen.
Auch wenn das geklärt scheint, stehen wir
immer noch vor der Frage, um welche
Kampfkunst es letztendlich bei diesem,
deskriptiven Spagat geht. So scheint es im
ersten Ansatz doch einen signifikanten
Unterschied zu machen, ob von der alten
Europäischen Kunst des Rapier- oder
Degenfechtens, von der durch seine Akrobatik
einem sehr breiten Publikum bekannten Kunst
des Shaolin KungFu, oder den vielleicht
etwas offensichtlicher mit diesem Thema
verknüpfbareren inneren Kampfkünsten des
chinesichen Taijichuan oder Qigong die
Rede ist. In Wirklichkeit spielt alleine die im
vorigen Kapital angeschnittene Eigenschaft
der Achtsamkeit und der richtigen
Geisteshaltung eine Rolle. Bei sogenannten
inneren Stilen der Kampfkunst ist es insofern
leichter nachvollziehbar, als dass die
Kultivierung der Achtsamkeit integraler
Bestandteil des Trainings sein sollte.
Ungeachtet dessen wird auch ein
Degenfechter, ein Tontaubenschütze oder ein
Turniertänzer der lediglich in Taktiken und
Abläufen denkt, immer hinter seinem
Kontrahenten hinterherhinken, der gelernt hat
den Moment und die Umgebung unmittelbar
wahrzunehmen und auf die Krücke der
Gedanken zu verzichten.
Der alte Weise LaoTse hatte zum Kampf und
im Speziellen zu Waffen eine sehr abwertende,
wenn auch nicht naïve Einstellung, welche er
äußerte indem er sagte:
“Waffen sind Instrumente des Unheils und
werden von allen Geschöpfen gehasst. Wer
dem Weg folgt, besteht deshalb nicht auf ihren
Gebrauch. Waffen sind Instrumente des
Unheils und nicht die Instrumente des Edlen.
Ist man gezwungen, sie zu gebrauchen, so ist
es am besten, wenn man keinen Gefallen
daran findet.
Ein Sieg ist kein Grund für laute Freude;
Wer sich dennoch über einen Sieg freut, der
hat auch Freude am Töten von Menschen.
Wer Freude hat am Töten von Menschen, der
kann sein Ziel auf der Welt nicht erreichen.” [3]
LaoTse war also kein Freund von Gewalt, ihm
war aber durchaus bewusst, dass es
Situationen gab, da es nötig war sich zu
verteidigen und dies dann auch getan werden
sollte. Schließlich stellt auch eine Verletzung
oder gar der Tod des Praktizierenden ein
Hindernis dar den Weg weiter zu gehen. Was
LaoTse sagt ist, dass es manchmal nötig sein
kann sich zu wehren und dabei kann es auch
dazu kommen, dass jemand verletzt, werden
muss (körperlich wie auch geistig), es soll aber
weder am Kampf noch am Sieg ein Gefallen
gefunden werden.
Es wird also klar, dass das hier gewählte
Beispiel der Kampfkunst nur ein
Transportmittel auf dem Weg des Dao ist;
wenn der Weg des Dao mit einer Autobahn
verglichen würde, so wäre die Kampfkunst
(oder eine andere Tätigkeit bei der die
Kultivierung des Geistes im Vordergrund steht)
das Automobil, mit dem man sich auf dieser
Straße fortbewegt. Nicht mehr und nicht
weniger. Das bedeutet, ein Praktizierender des
Dao muss nicht notwendigerweise eine
Ausbildung in den Kampfkünsten durchlaufen;
das Umgekehrte scheint jedoch sehr wohl der
Fall.
Möchte ein Kampfkünstler seine Kunst
vollständig und umfassend erlernen und sich in
dieser auch ohne die Schritt-für-Schritt-
Anleitung seines Lehrers weiterendwickeln, so
führt am Dao bzw. der achtsamen Ausübung
seiner Kunst kein Weg vorbei. Zuerst wird der
Schüler gewisse Anleitungen seines Lehrers
brauchen um die für seine Übungen benötigten
Fertigkeiten, wie z.B. gewisse Bewegungs-
abfolgen, oder auch Visualisierungen,
kultivieren zu können. Sind die Abläufe und
Bewegungsmuster erst einmal erlernt (hier
also wirklich ein denkendes Erfassen), so wird
damit begonnen diese Abfolgen zu üben. Am
Anfang des Übens steht das Wiederholen und
das Verfeinern der physischen oder
psychischen Abläufe. Je mehr der
Praktizierende übt, desto leichter wird es ihm
fallen sich nicht mehr auf die von seinem
Lehrer vorgegebenen Abläufe zu
konzentrieren, sondern eine Art Innenschau zu
halten die letztendlich nichts anderes ist, als
ein achtsames Verweilen oder Ausführen der
Übung (also ein SEIN). Wenn dieser Schritt
vollbracht ist, dann wird der Schüler zum
Meister und die Tätigkeit zum Gebet.
Von diesem fernen Ziel sollte sich niemand
einschüchtern lassen. Vermutlich gibt es nur
wenige Menschen, die gelernt haben ihren
Geist so zu kultivieren, dass sie mit voller
Achtsamkeit und Liebe im Augenblick
verweilen und ohne zu werten, alles annehmen
und wahrnehmen; innerhalb und außerhalb
ihres Körpers. Menschen die eine solche
Entwicklungsstufe erreichten nannten wir je
nach Kultur Jesus, Buddha oder Mohammed.
Der Alltag sieht meist anders aus und wir
müssen uns jedes bisschen Freiraum, in dem
wir die Zeit und Energie haben uns mit uns
selbst zu beschäftigen, hart erkämpfen. Diese
Zeit und Energie müssen wir uns von den
restlichen Verpflichtungen, wie Partnerschaft,
Arbeit, Familie, etc., absparen. Doch auch in
dieser Situation, in der viele verschiedene
Dinge unter einen Hut zu bringen sind, steht
die Kultivierung der Achtsamkeit, des
Gleichmutes und der Absichtslosigkeit für
jeden offen. Sei es beim Training oder im
Straßenverkehr, negative Emotionen und
unnötig und unbewusstes Denken begleiten
uns fast überall und deshalb ist auch zu jedem
Zeitpunkt der beste Augenblick mit dem
Training zu beginnen. Wie auch der Dalai
Lama sagt: “Das Beste was einem
Praktizierendem passieren kann ist, auf einen
Feind zu treffen”. Unangenehme Situationen
(oder eben ein uns feindlich eingestellte
Person) lehren uns in Geduld, Demut, Mitgefühl
und der Kunst zu Verzeihen. Sie sind die
besten Lehrmeister. Von ihnen können wir,
eine rechten Geisteshaltung vorausgesetzt,
viel mehr lernen als vom liebevollsten Lehrer.
Die Rolle des Fliegenfangens
Nun aber die Überleitung zu einem
greifbarerem und für jeden nachvollziehbarem
Beispiel; dem Fliegenfangen.
So, wie es dem Kampfkünstler bei der
Anwendung seiner Techniken in einer
Kampfsituation geht, so geht es jedem von
uns, wenn wir versuchen eine Fliege zu
fangen. Am Anfang der Handlung (also dem
möglichst raschen Ausstrecken des Armes um
die Fliege zu fangen) steht die Absicht. Die
Absicht entsteht im Kopf, also durch Denken.
Wenn wir diese kleine Fliege vor uns sehen,
die uns zuvor vielleicht noch minutenlang um
die Ohren geflogen und uns beim Lesen
gestört hat, dann steigen Aggressionen in uns auf
und wir wollen sie unbedingt fangen und
zerklatschen. Wir DENKEN also, dass wir sie
fangen und unschädlich machen wollen, um in
Ruhe weiter unserer Beschäftigung nachgehen
zu können. Wir DENKEN weiter, dass wir sehr
schnell nach der Fliege schnappen müssen, da
wir wissen, dass Fliegen je Hauptauge ca.
3.200 Einzelaugen haben, mit denen sie alles
in Zeitlupe wahrnehmen können und es
dementsprechend schwer ist den Quälgeist zu
fassen. Während wir diese Denkprozesse
druchlaufen verkrampfen sich automatisch
unsere Muskeln in einer unkontrollierten
Weise, sodass wir rein körperlich gar nicht
mehr in der Lage sind, schnell zuzuschnappen
und die Fliege zu fangen. Wenn wir aber
unseren Geist kultiviert haben, Achtsam im
Moment weilen, unseren Ehrgeiz und alle
Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft
loslassen, der Fliege gleichmütig
gegenüberstehen und quasi absichtslos, aber
mit einer grundlegenden Intention unseren Arm
nach ihr ausstrecken, dann verkrampft unsere
Muskulatur nicht und die Bewegung wird aus
dem Körper heraus (und nicht aus dem
Denken heraus) geschmeidig und blitz schnell
ausgeführt. Damit steigen unsere Chancen
ungemein! Sollte es doch nicht geklappt
haben, dann werden wir uns darüber auch
nicht ärgern, da wir unsere Bewegung
eigentlich ohne Ehrgeiz und Anhaftung an ein
vermeintliches Ziel ausgeführt haben. Vielleicht
freuen wir uns sogar, dass dieses Lebewesen
weiter seine Runden ziehen kann und vielleicht
fliegt das Kleine Tier ohnehin in der nächsten
Sekunde in einen anderen Raum und stört uns
nicht weiter. Jeder der versucht seinen Geist
zu schulen und diesen Fliegen-Fang-Test
einige male ausprobiert, wird merken, dass die
Quote, bei der wir nach unserer Armbewegung
die Fliege in unserer geschlossenen Hand
halten, erstaunlich hoch ist. Mit ziemlicher
Sicherheit zumindest höher, als mit dem
bisherigen Ansatz. Ein weiterer Nebeneffekt
ist, dass der auf diese Weise erfolgreiche
Fliegenfänger in den seltensten Fällen das Tier
töten wird .
Conclusio
So wie mit dem Fliegenfangen, verhält es sich
mit allen Dingen in unserem Leben. Die oben
dargelegten Grundsätze eines kultivierten
Geistes helfen uns im Beruf, in der
Partnerschaft, lassen uns gesünder älter
werden, verschaffen uns Freude bei den
einfachen Dingen des Lebens und machen uns
zu ausgeglicheneren, symphatischeren
Menschen. Jede Tätigkeit, die wir ausführen ist
nur eine Tätigkeit. Tieferer Sinn entsteht durch
einen wachen, nicht anhaftenden, nicht
urteilenden Geist in dem Achtsamkeit, Liebe
und Mitgefühl kultiviert werden. Dies ist der
Weg, den jeder auf unterschiedliche Art
beschreiten kann: durch Kampfkunst, durch
Yoga, durch Malen, durch Kochen, etc. Fehlt
der rechte Geist, so kann nichts Sinnvolles
entstehen. Letztendlich gibt es nichts zu tun,
außer mit beschriebener Geisteshaltung im
JETZT zu verweilen. Es gibt keine Ziele zu
erreichen, es gibt nichts zu gewinnen. Mit der
rechten Haltung wird alles zu uns kommen und
alles von uns gehen. Das Leben ist ein Fluss
und wird sind hier um darin zu schwimmen.
„ein ewiger Schüler“
Referenzen
[1] Laozi: Daodejing. Das Buch vom Weg und seiner
Wirkung. Neuübersetzung. Reclam (2009).
[2] Elected Biographical References of Smoot, George,
and Keay Davidson: Wrinkles in Time; Who’s Who in
America (1992)
[3] Lao Tse; Tao-Te-King; Übersetzt ins Deutsche von
Hans Knospe und Odette Brändli (1990)
[4] Diverse Übersetzungstexte des Daodejing aus dem
Internet (2013)
[5] Hermann Hesse: Siddhartha (2004)
[6] Michael Köhlmeier: “Antiope” aus dem großen
Sagenbuch des klassischen Altertums (2009).
[7] Dan Millman: Der Pfad des friedvollen Kriegers; Aus
dem Englishen von Thomas Lindquist (2010)
[8] Die heilige Bibel: Das Buch des neuen Testamentes:
Matthäus 18:1-4; Die Elberfelder Übersetzung