In eigenem Kampf von den Fesseln des Ich befreien und Fähigkeiten wie Selbstüberwindung, Disziplin, Vertrauen ins Ideal, Achtung und Bescheidenheit entwickeln
Der Bezug zum Tod früher und in der heutigen Gesellschaft
Rituale und Zeremonien
Die Angst vor dem Sterben
Die Angst vor dem Tod
Die Überwindung des Ich
Vom Nicht-Töten
Wer weiß, dass er töten kann, der kann auch nicht-töten
Übers Lebenlassen
Von I. P. 2013
Wann, wo und wie werden wir heute mit dem Tod konfrontiert?
Am häufigsten in den Medien: Zeitungen, Internet, Radio, Fernsehen. Da kann es schon mal öfter passieren, dass man „echte Tote“ sieht, je nachdem, was man sich anschaut. Dann natürlich in zahlreichen Spielfilmen. Die sind dann aber eh
nur gespielt… Dann noch auf den ganzen vielen Fotos von Kriegen, die uns immer sehr nachdenklich stimmen. Weil es gar nicht so lang her und weit weg ist? Weil es meistens viele Tote sind, auf Haufen geworfen, niedergemetzelt,
verstümmelt, würdelos liegengelassen? Und weil es, während wir die Bilder betrachten, gerade in vielen Gegenden, auch in der Nachbarschaft passiert?
Und in echt? Wie oft sehen wir Tote?
Selten. Wenn jemand aus der Familie stirbt, und nicht einmal da immer. Als mein Opa starb, war ich sieben und deshalb noch zu klein – würde man mir wahrscheinlich erklären. Als meine Oma gestorben ist, war ich 18. Wir sind alle ins Krankenhaus gefahren, wo sie friedlich noch in ihrem Bett lag, um von ihr Abschied zu nehmen. Zum ersten Mal in meinem Leben hab ich da einen toten Menschen gesehen und auch berührt. Als später meine andere Oma starb, war ich zu weit weg, um rechtzeitig hinzukommen.
Früher, da war das doch ganz anders. Tote wurden zuhause aufgebart. Alle Verwandten und Bekannten kamen ins Haus, um direkt am Totenbett zu beten.
Oder aber zumindest am offenen Sarg. Da gab’s dafür dann immer auch die gruseligen Geschichten dazu, welche oft Erwachsene nicht weniger fürchten machten als Kinder. Die Angst vor dem Unheimlichen, Ungreifbaren, Unerklärlichen.
Und dann der Tod als Bestandteil des Lebens: Tiere mussten getötet werden, damit die Familie genug zum Leben (Essen) hatte. Ja, heute auch noch, aber das passiert unsichtbar. Ein Fleisch, im Supermarkt gekauft, hat meistens nicht mehr
viel Sichtbares von dem Tier, das es einmal war. Meine Lederschuhe auch nicht.
Die trendige Handtasche meiner Tochter sowieso nicht mehr.
(Apropos: Meine Mama hatte noch so einen typischen 60/70er-Jahre-Schal, so einen, wo der echte Fuchs mit Kopf und Klauen noch dranhängt. Damit ist mir dann mein Bruder immer nachgelaufen, höchst erfreut über mein panisches
Kreischen und Schreien.)
Die wilden Tiere von früher gibt es bei uns nicht mehr, sie sind entweder ausgerottet oder sicher hinter Gittern versperrt. Wir müssen nicht mehr vorsichtig und vorausschauend durch die Welt gehen, weil hinter dem nächsten Baum vielleicht etwas oder jemand uns auflauert und uns fressen will. (Die
einzige wirkliche unmittelbare Gefahr getötet zu werden geht von dummen, betrunkenen oder telefonierenden Autofahrern aus.)
Unsere Konsumgesellschaft gaukelt uns das höchste Glück vor. Das angeblich erstrebenswerte „Happy-Life“ hat keinen Platz für Trauer, Traurigkeit, Nachdenklichkeit, Gewissensfragen. Alles kann man kaufen, alles/jeder ist
ersetzbar. Dadurch braucht sich keiner mit Verlusten auseinandersetzen. Durch die Entfernung von althergebrachten Religionen sind auch Riten und Rituale
verloren gegangen. Dabei herrschen in der heutigen Zeit zwar andere Gesetze (die Todesstrafe wurde 1950 in Österreich, wie in den meisten europäischen Ländern, abgeschafft), Töten ist aber trotzdem immer noch erlaubt – sozusagen
in verharmloster Form – in Computerspielen, auf allen möglichen Bildschirmen, mit Waffen, die den direkten Zusammenhang verschleiern.
Sammlung von Ereignissen aus meiner Kindheit.
Unser Dorf war klein, und wenn ein Bauer geschlachtet hat, hat sich das unter uns Kindern wie ein Lauffeuer verbreitet. Alle waren versammelt zu dem blutigen Schauspiel. Ich erinnere mich sehr genau an ein solches Ereignis, war im
Volksschulalter damals. Der Metzger in seinem weißen Mantel, das Schwein wird vom Bauern aus dem Stall geführt, die Unruhe, das Geschrei, Metzger will schießen, Schwein hält nicht still, der gestresste Bauer, Schwein kriegt Kübel
übern Kopf. Endlich sitzt der Schuss, Unmengen von Blut, ein türkisches Kind das weint. Als wir den Bauern fragen, warum er das Blut in Kübeln auffängt, sagt er, das gibt Blutwurst, und wir wissen nicht, ob er’s ernst meint oder nur Spaß
macht… kann man denn Blut wirklich essen???
Ein anderes Mal. Wie wir uns in den Stall schleichen, zwischen den aufgehängten Kuhhälften herumlaufen und Verstecken spielen, uns aber doch irgendwie grausen vor diesen großen Fleischbergen mit Knochen, und schau, was man da sieht, ist das vielleicht die Luftröhre? Und traust du dich das anzugreifen? Igitt!
Traut man sich, was Totes anzugreifen, und darf man das überhaupt?
Dann meine Freundin, etwa 15 Jahre alt, die die kleinen Katzen umbringen muss. Niemand sonst ist da, und sie muss es tun. Wie denn am besten. Ertränken! Also
steckt sie alle zusammen in einen dicken Sack, bindet zu, taucht ihn im großen Regenfass unter, lang, länger, noch länger. Als das Zappeln im Sack immer noch
nicht aufhört, legt sie den Sack auf den Hackstock, und – draufgehauen. E quiekt im Sack, und es bewegt sich. Sie schaut weg und haut noch ein paar Mal drauf. Jetzt ist Ruhe. Ich war nicht dabei, aber es hat mir gereicht, als sie’s mir
erzählt hat.
Da war ich schon erwachsen – als der verletzte Vogel vor unserer Tür lag. Zum Tierarzt bringen? Der ist doch eh schon halbtot. Als wir nach Stunden wiederkommen, liegt er noch immer da, keine Katze hat ihn gefressen und er lebt immer noch. Kein Tierarzt zu erreichen. Mein Freund hat ihn umgebracht, mit einer Eisenstange aufs Genick, der war aber auch nicht beim ersten Schlag gleich tot…
Ich mag mir das alles gar nicht in Bildern vorstellen.
Rituale und Zeremonien vor dem und beim Töten von Tieren sind – ich nehme einmal an – bei sämtlichen so genannten Naturvölkern auf der ganzen Welt verbreitet. Es geht dabei um den Respekt und die Dankbarkeit gegenüber dem
Lebewesen, das sein Leben gibt um das Leben der Menschen zu erhalten. Diese Völker verwenden dann auch jeden erdenklichen Teil des Tieres, alles wird verwertet, nichts wird achtlos weggeworfen. (War das früher bei uns auch so? Und wann und warum haben wir damit aufgehört?)
Dabei gelten immer sehr genaue Regelungen darüber, wann und wo alles stattfindet, wer daran teilnehmen darf, wer welche Gebete spricht und Handlungen ausführen darf. Ebenso über die weiterführende Verarbeitung.
Völker, die irgendwelche Gottheiten verehren, opfern dabei oft einen Teil als Dank und auch um für die kommenden Zeiten ihre Götter zu besänftigen und um ihre Gunst zu bitten.
Bei rituellen religiösen Tötungen sind oft sehr strenge Regelungen im Spiel, welche uns an ihrer Sinnhaftigkeit zweifeln lassen, wenn Tiere dadurch unnötig lange leiden, wie z.B. im Islam, wo Tiere geschächtet werden, sprich durch einen tiefen Schnitt durch die Gurgel das Tier langsam verblutet. Eine Entsprechung dazu im Judentum wäre das koscher geschlachtete Tier, wobei sich die Regelungen nicht nur auf die Tötung, sondern genauso auf Haltung und
Zubereitung des Fleisches beziehen.
Viele heidnische Religionen zelebrierten Menschenopfer, um ihre Götter milde zu stimmen und Unglück fernzuhalten, wobei oft eigene Kinder getötet wurden.
Auch Jungfrauen waren für Opferungen bei vielen Völkern besonders beliebt, weil sie durch ihre Reinheit der gesamten Zeremonie und Kultur zusätzliche spirituelle Werte verleihen konnten.
Im alten Ägypten und auch in China wurden beim Tod einer höhergestellten Person immer auch eine große Anzahl von Dienern und Konkubinen entweder getötet und mit begraben, oder aber lebend zugleich mit dem Verstorbenen bestattet, um ihrem Herrn auch im Jenseits weiter dienen zu können.
Bei den Wikingern war es Brauch beim Tod eines Kriegers sein Schiff am Meer anzuzünden, allerdings musste seine Frau auch rauf aufs Schiff.
Bei den Hindus wurde die Leiche eines Mannes traditionsgemäß angezündet. In dem Moment, in dem der Schädelknochen mit einem lauten Geräusch in der Hitze barst, musste sich die Frau des Verstorbenen in die Flammen werfen, um gemeinsam mit ihrem Mann zu gehen.
Bei der Tötung von Feinden spielen jedoch ganz andere Fakten eine Rolle.
Hier einige Beispiele für grausame Rituale:
– Die alten Kelten häuteten ihre Gefangenen bei lebendigem Leibe, um deren Häute zu tragen. Sie glaubten daran, auf diese Weise in den Besitz der Kräfte ihrer Feinde zu kommen.
– In den Kulturen der Mayas und Inkas wurde feindlichen Gefangenen das Herz aus dem Leibe geschnitten, schnell genug, sodass das Opfer noch lebte und das noch pumpende Herz ansehen konnte, bevor es starb. Dann wurde der Körper über die vielen Stufen der Tempel-Pyramide nach unten
gerollt, um Fleisch und Knochen mürbe zu machen. Anschließend wurde die Leiche zerstückelt und das Fleisch unter der Bevölkerung aufgeteilt.
Angeblich standen die Leute schon Schlange, um möglichst das beste Stück zu ergattern. Durch diese Zeremonie sollte die Seele des Opfers in die eigene Kultur übernommen werden. Deren Besitz versprach, ihre Kraft für sich selbst nutzen zu können.
– Viele Kulturkreise im afrikanischen Raum folterten ihre Gefangenen auf verschiedenartige grausame Weise, bevor sie deren Seelen in einer Zeremonie an den Teufel übergaben. Durch diese Demonstration von Macht und Gewalt versuchten sie, ihre Feinde abzuschrecken, sodass
diese Angst davor haben sollten, überhaupt irgendwie mit ihnen in Konflikt zu kommen.
– Auf Hawaii wurde den Opfern vor der Tötung die Augen herausgerissen und eventuell der Penis abgeschnitten, sodann wurden sie im Tempel umgebracht und das Fleisch auf den Altären zur Verwesung liegen gelassen als Gabe für die Götter.
– Kannibalen auf den Andaman- und Nicobar-Inseln kochten, verspeisten und ‚verdauten’ jeweils ein Opfer im Beisein der anderen Gefangenen. Sie verstanden es als tiefste mögliche Demütigung, ihre Feinde in Exkremente zu verwandeln und wollten dies niemandem vorenthalten.
– Die Schrumpfköpfe verschiedener Amazonas-Stämme waren ursprünglich Teil einer religiösen Zeremonie, dienten aber später für weiterführende Rituale, als Trophäen und auch zu Handelszwecken. Durch den Prozess des Schrumpfens konnte die Seele der jeweiligen Person von etwaigen
Racheakten abgehalten und deren Geist in Besitz genommen werden und musste fortan dem Stamm als Sklave dienen.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass verschiedenen Tötungszeremonien ganz unterschiedliche Motive zu Grunde liegen:
• Religiöse Gründe, zu tun mit den jeweiligen Vorstellungen vom Jenseits
• Als Instrument religiöser Kontrolle (z.B. Inquisition im Christentum)
• Um die Seele zu besitzen und ihre Kraft nutzen zu können
• Um Feinde/Opfer zu manipulieren/kontrollieren
• Um Feinde zu verletzen/zu demütigen/Rache auszuüben
• Um Statussymbole zu gewinnen (Skalps, Schrumpfköpfe, „Jagdtrophäen“)
Zu unterscheiden sind die Angst vor dem Sterben und jene vor dem Tod.
Der Tod ist nichts Greifbares, Fassbares. Niemand weiß wirklich, was nach dem Leben kommt. Wir können uns an Berichte von Leuten halten, welche – klinisch tot – wieder zurückgeholt werden konnten. Berichte von Menschen mit so
genannten übersinnlichen Erfahrungen, von jenen, die mit Geistern kommunizieren, und solchen, die sich fähig sehen, in andere Sphären, feinstofflichere Zustände überzutreten. Wir können ihnen glauben, oder auch nicht. Wir können an Religionen festhalten und deren Modelle übernehmen, oder
uns unser eigenes zurecht basteln.
Aber der Tod und was danach kommt bleibt doch das Große Unbekannte.
Dieses Nicht-Wissen macht vielen Angst.
Manche Menschen versuchen krampfhaft am Leben festzuhalten. Materielle Besitztümer hindern sie am loslassen ebenso wie die Angst vor dem Ungewissen.
Dabei ist nichts unvermeidbarer als der Tod. Die Art und Weise wie wir sterben werden, können wir genauso wenig beeinflussen (einmal abgesehen vom Suizid).
Wünschen wir uns alle, friedlich einschlafen zu können, so hat dies doch keiner von uns in der Hand. Niemand will große Schmerzen erleiden müssen. Wenn, dann lieber kurz und schmerzlos sterben. Warum geraten dann Menschen in
Panik, wenn sie wissen, dass sie jetzt erschossen werden? Ist es nur die Angst vor dem Schmerz? Ist es, dass sie nicht selbst diese Entscheidung treffen, jetzt zu sterben? Oder ist es ein in uns festgelegter Urinstinkt zur Erhaltung der
eigenen Rasse.
Eine natürliche Angst vor dem Tod, die nicht in Panik ausartet, sondern quasi mehr als Vorwarnstufe wirkt, lässt ungeahnte Kräfte entstehen, welche unter
normalen Bedingungen niemals möglich gewesen wären. So ist es möglich, dass Muttertiere (Mütter) ihre Brut (Kinder) retten können und das Weiterleben ihrer Linie ermöglichen.
Dabei spielt die Ausschüttung verschiedener Hormone eine wichtige Rolle. Dies lässt so manchen sich freiwillig in Extremsituationen stürzen. Das Spiel mit dem Tod ist dann so aufregend, dass das eigene Leben dafür aufs Spiel gesetzt wird, um an diese schmale Grenze zu kommen (z.B. Freeclimbing, ungesicherte Überquerung von Seil zwischen Wolkenkratzern, Extremsportarten).
Wenn Angst in Panik umschlägt, kann viel schief gehen.
Wer den Tod nicht fürchtet, kann sich auf die Schwächen des Gegners konzentrieren, und im rechten Moment töten.
Wer keine Angst vor dem Sterben hat, kann effizienter kämpfen, weil ihm nichts passieren kann.
Wer keine Angst vor dem Danach hat, kann furchtlos in gefährliche Situationen gehen. Extreme islamische Selbstmordterroristen haben kein Problem zu sterben, nachdem sie überzeugt davon sind, dass sie durch ihre Tat nicht nur ihr Leben dafür opfern blasphemische nicht-islamische Feinde zu töten, sondern auch noch im Himmel von einer Horde jungfräulicher Bräute erwartet werden.
Was lässt einen Menschen angstfrei und radikal kämpfen?
• Wut, Aggression, Hass
• Wunsch nach Rache, Vergeltung
• Urinstinkte (lässt Frauen, das zarte, emotionale, schwache Geschlecht zu schlachtenden Monstern werden)
• Eine Ideologie, die ich ganz und gar vertrete
• Nichts zu verlieren zu haben, außer das Leben; sprich, es geht jemandem so dreckig, dass es sowieso nur mehr besser werden kann
• Die Fähigkeit, sich selbst und sein Ego unter völliger Kontrolle zu haben “Skill is a state of mind”
Was lässt einen Menschen sich selbst verstümmeln oder töten? (Selbstverstümmelung unter psychischer Disbalance/Belastung/Krankheit ist ein anderes Thema.)
Frauen indianischer Stämme hackten sich die Finger ab als Ausdruck der Trauer und Tribut zum Tod ihres Mannes. (Wie viel mentale Kraft muss da dahinter stehen!)
Japanische Kamikaze-Piloten (Kamikaze = God-Wind oder Divine Wind) im zweiten Weltkrieg sahen es als große göttliche Ehre ihr Leben für ihre Nation zu opfern.
Der Ehrentod durch Hara-kiri, ein genau geregeltes Suizid-Zeremoniell der Samurai, ermöglichte Wiedergutmachung bei Pflichtverletzung, Strafe bei Gesetzesbruch, Wiederherstellung der Familienehre, Protest gegen Vorgesetzte, Vermeidung von Schande.
Selbstmord als ein Akt der Rache oder Bestrafung, oder aus Angst:
Massenselbstmorde geschahen in der Geschichte oft als Gegenmaßnahme, um nicht vom Feind kontrolliert, massakriert oder versklavt werden zu können (so
z.B. im Ersten Jüdisch-Römischen Krieg, als sich 960 Jüdische Rebellen lieber selbst töteten, bevor sie in die Hände der Feinde fallen konnten). Zu Ende des Zweiten Weltkrieges töteten viele Nazis zuerst ihre Familien und dann sich selbst, aus Angst in die Macht der Alliierten Truppen zu fallen. Die Zahl wird auf ca. 7000 Selbstmorde geschätzt, über eine längere Periode hinweg.
„Der erste Kampf, den es zu gewinnen gibt, ist der gegen sich selbst.“
Die Überwindung des Ich ist wohl eine der wichtigsten, aber auch am schwierigsten zu erlernenden Tugend sowohl in der Kampfkunst wie auch im alltäglichen Leben. Sie ist als geistige Übung zu verstehen und nur durch sie können erlernte Kampftechniken erst richtig und optimal zum Einsatz gebracht werden. Sie zielt darauf ab, die Unvermeidlichkeit des eigenen Todes zu erkennen und zu akzeptieren.
In einer Zeit, als es notwendig war zu kämpfen, um das eigene Leben zu erhalten, war es unvermeidlich, sich mit den Themen rund um den Tod auseinanderzusetzen. In unserer Zeit ist das nicht mehr nötig. So aber verlieren wir die rechte Verbindung zur Wirklichkeit. Der eigentliche Gegner eines jeden ist das eigene Ego. Jeder muss als erstes seine inneren Feinde besiegen: Faulheit, Trägheit, Ängste, Selbstsucht, Überheblichkeit, Gier und mehr. Seine eigenen Mängel zu überwinden ist der erste wahre Sieg. Was wir dazu brauchen sind Achtsamkeit, Mut, Entschlossenheit, Durchhaltevermögen, innere Stärke.
Egoismus muss Demut weichen.
Tief verwurzelt im Ehren-Kodex der Samurai ist die Aufforderung zur Meisterung des Ich und zum Erlangen der unerschütterlichen Ruhe. Mut und die Verachtung des Todes gilt als eine der Grundtugenden. Was nicht gleichgesetzt werden darf mit der Verachtung des Lebens. Eine lebensbejahende Haltung steht nicht im Gegensatz zur Überwindung der Angst, aus dem Leben zu gehen und der
Bereitschaft, im Kampf zu sterben. Die Todesverachtung der Samurai beruht auf der These, dass der Tod keinen Gegensatz zum Leben bildet.
„Meisterschaft ist […..] jenes Ich zu besiegen, das mit seinen unzähligen inneren
Antrieben den Geist und die Handlungen des Menschen verwirrt und der wahren Verwirklichung seines Eigenwesens im Wege steht.“
Ohne den Willen und die Entschlossenheit zu töten und ohne die Bereitschaft zu sterben kann niemand siegen. Den Tod zu erwarten, bedeutet nicht, den Lebenswillen aufzugeben und sich ihm hinzugeben. Es bedeutet zu verstehen, dass der Tod unausweichlich ist, jedoch mit Stärke und Kreativität die Zeit zu nutzen, Hindernisse zu überwinden, sein eigenes Ziel zu verfolgen. Wer den Tod verstehen kann, kann die Angst bezwingen und seine Gefühle beherrschen.
Unkontrollierte Angst lähmt und verhindert intuitives Erkennen, Entscheiden und Reagieren. Dies betrifft nicht nur Kampfsituationen sondern auch den Alltag.
Durch die Überwindung des intellektgesteuerten Ichs können Ängste überwunden und Probleme gemeistert werden. Das Vertrauen ins Leben liegt in jedem selbst, durch die Loslösung vom Ego kann es uns in jeder Situation tragen, stärken und zum Sieg führen. Der eigentliche Gegner ist nur unser
eigenes Ego. Und es braucht unsere volle Entschlossenheit, dies zu überwinden.
Wer die Unvermeidlichkeit des eigenen Todes akzeptieren kann, bekommt einen anderen Blick auf sich selbst, die anderen und das Leben selbst. Dies ist wohl eine der schwierigsten Übungen in der Kampfkunst, und aus oben genannten Gründen in der heutigen Zeit viel schwieriger zu bewältigen als früher, wo das Leben viel näher zum Tode stand als heute, bzw. mag es für uns diesen Anschein
haben.
Ich will mir die Behauptung anmaßen, dass diese Welt eine viel bessere sein könnte, würden die Menschen sich mehr mit ihren inneren und äußeren Grenzen konfrontieren, würden versuchen, sich selbst zu besiegen, anstatt andere zu
bekämpfen, würden sich in Geduld, Bescheidenheit und Demut üben. Alle Überheblichkeit, aller Größenwahnsinn, alle Habgier und Selbstsucht, aller Missbrauch von Macht könnte zu einem Ende kommen.
Wer weiß, dass er töten kann, kann auch nicht töten.
Für viele Indianerstämme in der zentralen und nördlichen Prärie Amerikas war ‚counting coup’ (= das Zählen von Treffern) im Kampf ein Weg, ohne sinnloses Blutvergießen Mut und Tapferkeit zu demonstrieren und zu Ehre zu gelangen.
Jeder dem Gegner versetzte Schlag zählte als Treffer, was aber am meisten Prestige erbrachte war, den Feind mit der Hand, dem Bogen oder dem ‚coup stick’ nur zu berühren und sodann selber unberührt und unversehrt zu entkommen.
Der so genannte ‚coup stick’ war einem Stock mit gebogenem Ende, meist mit Fell oder Leder überzogen und besonders geschmückt. Für jeden erfolgreichen Treffer durfte eine Kerbe in dessen Holz geschnitzt werden. Als ‚coup’ zählte auch, wichtige Dinge oder ein Pferd direkt aus dem feindlichen Camp zu stehlen.
Das Risiko von Verletzung oder Tod musste im Spiel sein, damit ein ‚coup’ gerechtfertigt war.
Bei einem ‚coup’ unversehrt zu entkommen brachte weitaus höhere Ehre ein, als dabei berührt oder verletzt zu werden. Bei bestimmten Stämmen durfte ein Kämpfer als Auszeichnung für seinen erfolgreichen ‚coup’ die Feder eines Adlers im Haar oder Kopfschmuck tragen bzw. an seinen coup stick binden. War er dabei verwundet worden, so musste er die Feder als Zeichen dafür in rote Farbe tauchen.
Nach einem Kampf war es Brauch, dass die Leute des Stammes sich versammelten, um gemeinsam ihre Bravourstücke zu rekapitulieren und die Geschichten zum Besten zu geben.
Diese Indianerstämme hatten so eine gewaltfreie Kampfpraktik entwickelt, sich zu messen, Ehre und Anerkennung zu gewinnen und ihre Tapferkeit unter Beweis
zu stellen, ohne jedoch das Risiko außer Acht zu lassen, verletzt oder gar getötet zu werden, sollte der Fall eintreten, dass der andere Krieger mit Gewalt antwortete.
Ein Krieger konnte so seine Überlegenheit nicht nur gegenüber den feindlichen Kämpfern, sondern auch innerhalb des eigenen Stammes demonstrieren. Zu töten war Teil eines Krieges, aber seinen Mut im Kampf unter Beweis zu stellen
unter der Gefahr des Todes war noch wichtiger für den individuellen Status.
Gleichzeitig bedeutete es für den Gegner eine extreme Demütigung. Es galt als schmachvolle Niederlage, nicht einmal die Munition wert zu sein, die der Gegner benötigen würde, um zu töten. Angeblich zogen die tapfersten Krieger
unbewaffnet in den Kampf – nicht mit dem Ziel zu töten, sondern in der bloßen Absicht den Feind zu beschämen, indem sie ihn berührten.
„Wenn du eine echte Waffe in der Hand hältst, wirst du ihren Charakter deutlich spüren. Sie verlangt danach, benutzt zu werden. Ihr eigener Zweck ist Tod, und ihre Stärke rührt nicht einfach von dem Material her, aus dem sie gemacht
wurde, sondern auch von der Absicht der Hersteller.“
Eine Waffe soll nur gezogen werden in der Absicht zu töten.
Wer weiß, dass er nicht töten will, verwendet jede andere erdenkliche Waffe, um sich zu wehren.
Verschiedene Gesellschaften, Kulturen, Länder, Individuen verwenden den Tod als Bestrafung.
Die Kampfkunst – ursprünglich um zu töten – jetzt nur als Schutz, als Verteidigung, nur im äußersten Notfall finale Techniken gebrauchend. Was ist wichtiger, mein Leben oder das des anderen? Es ist die allerletzte Alternative, um das eigene Leben zu retten.
Im Laufe der Jahrhunderte veränderten sich durch den immer stärker werdende Einfluss des Zen auch die Kampfmethoden der Samurai und erhielten einen philosophischen Sinn. Aus den tödlichen Kriegskünsten entwickelte sich allmählich der Weg des Kriegers als lebenserhaltende Kunst.
Vom Lebenlassen.
Bei einem bestimmten afrikanischen Volksstamm der Massai
ist folgendes Zeremoniell üblich: Wenn jemand eine schlechte Tat begangen hat, wird er in die Mitte des Dorfplatzes gestellt, und alle, die teilhaben wollen, versammeln sich im Kreis um ihn. Jeder der im Kreis stehenden hat nun die Möglichkeit, den Angeklagten an all das zu erinnern, was er in seinem Leben an Gutem getan hat. Dies soll den Menschen dazu bringen, selber Recht von Unrecht zu trennen und sich aus eigenem Antrieb zu ändern.
Verschiedene Gründe sind möglich, sich vom Töten zu distanzieren:
• Um den anderen zu bestrafen: Wer tot ist, fühlt nichts mehr; wer weiterlebt, kann durch schlechte, miserable, menschenunwürdige Lebensbedingungen bestraft/gequält werden
• Sichtbar Kontrolle und Macht auszuüben über andere
• Fürs Ego, sich als gnädig/wohltätig darzustellen und zu fühlen
• Religiöse Gründe: z.B. im Christentum Distanzierung von den Gesetzen des alten Testaments hin zu denen des Neuen Testaments
• Höhere Ehre und Auszeichnung (Indianer counting coups)
Ich erinnere mich an ein Zitat, weiß leider nicht mehr von wem, welches sinngemäß besagt: “Den Wert einer Gesellschaft kann man daran messen, wie sie ihre Gefangenen behandelt.“
Ich erinnere mich: Zwei Soldaten, in einem Sumpf, es ist Nacht. Keiner weiß, ob der andere ihn umbringen will. Einer tötet schließlich den anderen, aus angst, selbst derjenige zu sein, der dran glauben muss. Er untersucht den toten Körper,
findet eine Geldtasche, darin ein Foto von einer Frau mit zwei Kindern. Er schämt sich, er fühlt die Schuld auf sich lasten. Er hat über das Leben des anderen entschieden. Aber hätte er nicht, würde er selbst dann noch leben?
Ich erinnere mich an eine Geschichte, von Wolfgang Borchert vielleicht: Wieder zwei Soldaten, beim Patrouillieren auf irgendeiner Grenzlinie. Sie sehen sich von weitem, erkennen dass der jeweils andere vom feindlichen Lager ist. Sie gehen
weiter, treffen sich. Jeder die Hand am Abzug. Vor Angst fast in die Hose geschissen. Sie tauschen Worte in Sprachen, die sie nicht verstehen. Einer gibt dem anderen eine Zigarette. Der andere gibt ihm Feuer. Sie rauchen. Sie gehen
auseinander, wieder in Angst. Keiner weiß, ob der andere ihn nicht rücklings erschießen wird. Nichts passiert.
“Power is when we have every justification to kill… and we don’t.” Oskar Schindler
“He who controls others may be powerful, but he who has mastered himself is mightier still.” Lao Tzu
Quellen:
das Internet
Kate Karko – Namma meine große Liebe in Tibet
Ruth Pfau – 50 Jahre in Pakistan
Erich Maria Remarque – Im Westen nichts Neues
Werner Lind – Budo
Deng Ming-Dao – 365 Tao
Filme: Tiger and Dragon, Schindlers Liste
unzählige Gespräche und Diskussionen mit Freunden, allen voran mit meinem Freund Keith !
und – last but not least – viele Inputs von meinen Trainern Anja und Sifu Günther