September 2021
Schriftliche Arbeit, im Rahmen der Prüfung für den dritten Inneren Grad, von Jörg Leiseder, an der Dao-Schule-Tirol.
Kampfkunst, wie wir sie in der Dao-Schule-Tirol praktizieren, als Mobbingprophylaxe.
Kampf wird nur dann zur Kunst, wenn er weit über den körperlichen Zweikampf hinaus geht.
Vorab:
Auf den ersten Blick scheint es offensichtlich, dass Kampfkunst und Kampf überaus geeignet sind, Mobbing zu begegnen. Auch vorbeugend scheint ein zuerst ausgeführter Angriff hilfreich. Ein Präventivschlag allerdings, würde die Gewaltspirale frühzeitig eröffnen. An dieser Stelle kommt der wichtige Unterschied zwischen Kampfkunst und Kampfsport zum Tragen.
Um einen Vorsprung in sich anbahnenden Auseinandersetzung zu haben, kann optimal eingesetzte Kampfkunst ein frühzeitiges, möglichst phantasie- und lustvolles Aussteigen aus der Gewaltspirale ermöglichen.
Definition:
Mobbing1
, ein aus dem Wort „Mob“ (der Pöbel) abgeleiteter und aus der Ethologie entlehnter Begriff, wonach einzelne Personen in ihrer sozialen Gruppe ausgegrenzt, schikaniert und terrorisiert werden. […] Mobbing wird von kleineren Streitereien und punktuellen Gewaltausbrüchen dadurch abgegrenzt, daß die Angriffe wiederholt und über einen längeren Zeitraum hinweg in der Absicht erfolgen müssen, dem Opfer Schaden beizufügen. Mobbing kann dabei von einer oder von mehreren Personen durchgeführt werden, und es richtet sich typischerweise auf ein Opfer, das sich nicht wehren kann (Stärkeungleichgewicht). Schließlich kann Mobbing sowohl direkte Formen annehmen –
wie etwa Drohungen oder körperliche Angriffe – sowie indirekte Formen wie etwa Ausschluss aus der sozialen Gruppe.
Die meisten Forscher betonen laut Christoph Seydl2 folgende Gesichtspunkte:
Verhaltensmuster: Mobbing bezieht sich auf ein Verhaltensmuster und nicht auf eine einzelne Handlung.
1https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/mobbing/9859
2Christoph Seydl: Mobbing im Spannungsverhältnis sozialer Normen – eine dissonanztheoretische
Betrachtung mit Untersuchung. Trauner, Linz 2007, ISBN 978-3-85499-312-4.
Die Handlungsweisen sind systematisch, das heißt, sie wiederholen sich ständig.
Der Umstand, dass es sich bei den Angriffen um Verhaltensmuster handelt, bieten einen guten Ansatz für ein Training.
Es ist nicht notwendig, mit einzelnen Attacken sofort fertig zu werden, sondern man hat Zeit, Strategien zu entwickeln und erproben.
Durch wiederholte Rollenspiele im Training gewöhnt sich der Teilnehmer daran, dass fremdes Fehlverhalten nicht gleich das eigene Ende bedeuten muss, vielmehr werden alternative Möglichkeiten des Arbeitens und Lernens erarbeitet, eine Neuorientierung der Persönlichkeit kann beginnen.
Es ist nicht notwendig, einzelne Handlungen überstürzt einzusetzen, vielmehr soll ein Horizont für bisher unbekannte Handlungsstrategien erschlossen werden. Mit der Lust am Entwickeln und Erproben wird auch der Druck genommen.
Negative Handlungen: Mobbingverhalten kann verbal (zum Beispiel Beschimpfung), nonverbal (zum Beispiel Vorenthalten von Informationen) oder physisch (zum Beispiel Verprügeln) sein. Solche Handlungen gelten üblicherweise als feindselig, aggressiv, destruktiv und unethisch.
In diesem Fall ist es wichtig, aggressive und fremdgesteuerte Aktionen rechtzeitig zu erkennen, um in weiterer Folge rechtzeitig agieren zu können.
Im Training gilt es Menschen und Situationen „lesen“ zu lernen und passende „Antworten“ aus den „Effeff“ parat zu haben.
Ungleiche Machtverhältnisse:
Die Beteiligten haben unterschiedliche Einflussmöglichkeiten auf die jeweilige Situation. Eine Person ist einer anderen Person unter- beziehungsweise überlegen. Dazu ist kein Rangunterschied nötig. Eine Ungleichheit kann durch die bloße Anzahl bedingt sein: Viele Personen gegen eine Person.
Im Training werden die eigenen Stärken entdeckt und geweckt, um situativ mächtig zu bleiben.
Opfer: Im Handlungsverlauf bildet sich ein Opfer heraus, das infolge ungleicher Machtverhältnisse Schwierigkeiten hat, sich zu verteidigen.
Durch das Training wird mindestens einer der vorangegangenen Punkte zu den eigenen Gunsten verändert, deshalb entwickelt sich der Trainingsteilnehmer nicht mehr zum Opfer aus.
Theorie:
Weder beginnt Kampfkunst, noch endet sie. Vielmehr ist sie eine ständige Bereitschaft zu agieren, anstatt zu re-agieren. Hierin liegt auch der Vorteil für die Mobbingprophylaxe:
Geschultes Vorgehen ist kaum mehr von einem Gegenüber abhängig, der Kampfkunsterprobte behält seine Handlungsfreiheit.
Kampfkunsterprobte sind es gewöhnt, die gleiche Problemstellung auf unterschiedlichste Weisen zu lösen, sich erneut darauf einzustellen und etwas Ungewohntes zu versuchen.
Durch die Erfahrung des Übens, der Erprobung verschiedenster Konzepte auf körperlicher Ebene, stellt sich früher oder später wie von selbst ein lustvolles Experimentieren mit unterschiedlichen Strategien auf geistiger Ebene ein.
Das Prinzip „Schere-Stein-Papier“:
Es gibt keine allgemeingültige „Siegertechnik“; sehr wohl aber passende Strategien, meist mehrere, durchaus unterschiedliche.
Die hohe Schule der Kampfkunst ist ähnlich kreativ, wie ein kunstvoller Scherenschnitt, eine am Stein geschliffene Schere, oder einen phantasievoll mit Papier verzierter Stein. Kreativität bedeutet die Selbstsicherheit zu haben, das Täter – Opfer Szenario verlassen
zu können.
In der Dao-Schule-Tirol unterscheiden wir drei Energien/Konzepte: „gerade“, „rund“ und
„spiralig“.
„Gerade“: verdrängend und entgegengehend „Pflug“ „Wing Tsun“
„Rund“: aufnehmend und ausweichend „Schaukel“ „Tai Qi Quan“
„Spiralig“: vorbei leitend und eindringend „Kreisel“ „Baguazhang“
Selbstverständlich sind die Übergänge fließend und eines kann im anderen gefunden werden.
Für eine Erklärung scheint mir eine prinzipielle theoretische Abgrenzung notwendig, da es sonst leicht zu Verwirrungen kommen kann.
Bietet mein Lebensstil eine große Angriffsfläche, so kann ich auf verschiedene Weisen damit umgehen. Mich persönlich könnte man wegen meines äußeren Erscheinungsbildes verspotten, da ich weder einer Mode oder einem Trend folge, noch sonst irgendwie darauf
achte zu gefallen oder entsprechen.
Mögliche Antworten, den 3 Konzepten folgend, könnten sein:
Gerade:
Ja das ist schon lange bekannt, und unwichtig. Bitte wenden wir uns wieder dienstlichen Angelegenheiten zu.
Rund:
Ja, die Geschmäcker sind eben verschieden. Kann ich ihnen irgendwie behilflich sein? (Ist Ihre persönliche Meinung denn von Belang in einer dienstlichen Besprechung?)
Spiralig:
Ja gewiss, können sie das genauer erläutern, eventuell sogar schriftlich? Ich bin übrigens sehr daran interessiert, warum sie das überhaupt der Erwähnung wert finden.
Außerdem verwenden wir folgende 6 „Tierstrategien“:
„Hase“:
Der Hase verlässt die bedrohliche Situation, denn außerhalb der Reichweite des Fuchses (Mobbers) ist er kein Opfer.
Bin ich beispielsweise einer Partie zugeteilt, in der ich gemobbt werde, so kann ich um eine neue Zuteilung bitten.
„Kluger Rabe“:
Der Kluge Rabe redet sein Gegenüber in Grund und Boden, wichtig ist allein, dass er den längeren Atem als der Opponent hat.
Ähnlich wie ein Igel, zusammengerollt zu einer Kugel, keine Durchdringen zulässt, so bietet auch der Kluger Rabe keine Lücke für einen verbalen Konter.
„Kobra“:
Die Kobra schüchtert durch Drohgebärden ein. Zeigt sich mächtiger als sie ist, denn sie möchte ihr Gift sparsam, also möglichst nur für die Jagd verwenden. Egal ob es sich um einen physischen oder psychischen Angriff handelt, ist die erste Reaktion ein bestimmter (aggressiver) Schritt auf das Gegenüber zu, ohne jedoch dessen Privatsphäre zu verletzen, so verseht das gegenüber für gewöhnlich, dass es kein „leichtes“ Opfer vor sich hat.
„Erdmännchen“:
Erdmännchen holen sich Hilfe.
Einerseits ist in einem Betrieb der Arbeitgeber/Vorgesetzte verpflichtet seine Arbeitnehmer zu schützen, andererseits sind dafür auch Betriebsräte/ Vertrauenspersonen eingerichtet. Außerbetrieblich sind dafür die Kammern und Gewerkschaften zuständig.
Auch Freunde und Verwandte können in manchen Situationen unterstützend mitwirken.
„Cooler Wal“:
Der Coole Wal ignoriert die Einladung in die Gewaltspirale.
Wichtig ist hierbei, dass man, so wie ein Lotus den Wassertropfen abperlen lässt, man wirklich auch zutiefst Innen ruhig ist und nicht im geringsten auswicht, sondern standhaft da bleibt ohne die geringste Verbindung zum Täter.
„Stachelschwein“:
Das Stachelschwein kämpft unerbittlich. Jede nur erdenkliche Möglichkeit wird versucht.
(In der Mobbingprophylaxe sollten wir uns auf legale Mittel beschränken.)
Schlägt ein Versuch, sich zu behaupten, fehl, so verliert das „Stachelschwein“ keine Zeit, von einer anderen Seite, mit einer anderen Strategie oder Technik, erneut seine Glück zu versuchen.
Praxis:
Bei uns im Training ist bei den Übenden meistens folgendes Schema zu erkennen: Zuerst wird „irgendetwas“ „irgendwie“ gemacht, dann kommt langsam, ansatzweise eine Idee „wie“ und „warum“ und mit der Zeit und weiterem Üben auch langsam eine Ahnung,
worum es dabei gehen könnte.
Kampfkunsterprobte sind es gewöhnt, die gleiche Problemstellung auf unterschiedlichste Weisen zu lösen, sich erneut darauf einzustellen und etwas Ungewohntes zu versuchen.
Denn im Training werden die diversen Vorgehensweisen anhand verschiedener Situationen erklärt und somit immer wieder in neuem Kontext geübt, dadurch erlebt man die verschiedensten Einsatzmöglichkeiten derselben. Zwischendurch werden die geübten Vorgehensweisen auch an vermeintlich Unpassenden „Angriffen“ ausprobiert, dabei gibt sich die eine oder andere unerwartete, passende „Antworten“.
Auf diese Weise wird Eintönigkeit und Kleinkariertheit vermieden.
Beschränkt man sich grundsätzlich darauf, den Kopf, also die Steuerungseinheit, auszuschalten, so wird man immer wieder überrascht sein, wie ein Angriff, geduckt von unten, als möglicher Zwischenschritt, erfolgreich zum Ziel führen kann.
Beim Erlernen einzelner Techniken nähert der Übende sich stetig einem Ideal an. Es wird im Laufe der Zeit zur Gewohnheit, nicht „perfekt“ anzufangen. Gleichzeitig gewahrt man, dass auch verbesserungswürdige Versuche schon Wirkung zeigen. Es ist also hilfreicher
etwas zu tun, als nichts zu tun, denn was ich nicht kann, kann ich noch lernen.
Man lernt, dass Steigerung möglich, ja normal ist.
In der alltäglichen Anwendung zeigte sich, dass es schon hilfreich sein kann, anders als üblich zu agieren, um eine neue Reaktion zu provozieren. Dies allein irritiert bereits den Mobber, um sein Opfer in Frieden zu lassen, denn sobald das „Opfer“ Handlungsspielraum hat, fällt es aus seiner zugedachten Rolle.
Dies ist in erster Linie der gewünschte Erfolg, als Zugabe kann diese Aktion auch noch bewirken, dass der Mobber generell weniger darauf baut, andere herabzusetzen.
Fazit:
Durch Theorie (3 Konzepte, 6 Tierstrategien, „Scher-Stein-Papier“, Gewaltspirale) und Praxis (Rollenspiele, Übungen, Wiederholung, Variation) ist eine solide Basis für eine alltagstauglich Mobbingprophylaxe gewährleistet.